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Archiv-Artikel

„Man schleicht sich in ein riskantes Projekt ein“

Der Politologe Herfried Münkler betrachtet den Versuch, in Afghanistan „Inseln der Stabilität“ zu schaffen, mit „gemäßigtem Wohlwollen“

taz: Die Bundesregierung möchte dazu beitragen, dass in Afghanistan so genannte Inseln der Stabilität geschaffen werden, und hofft, dass davon eine Signalwirkung ausgeht, die zur Beruhigung der Gesamtsituation dort führt. Gibt es für ein solches Vorgehen ein historisches Vorbild?

Herfried Münkler: Meines Wissens nicht. Natürlich kann man im weitesten Sinne Analogien herstellen. Es hat auch früher Versuche gegeben, Regionen über strategische Zentren und wirtschaftliche Mittelpunkte aufzubauen, ohne dass gleichzeitig das gesamte flache Land kontrolliert worden ist. In der Kolonialgeschichte finden sich dafür Beispiele. Aber im Rahmen dessen, was in Afghanistan passiert, ist das ein innovatives Konzept. Man muss diesen Versuch sehr genau beobachten, und zwar durchaus mit gemäßigtem Wohlwollen.

Aber ist die Entsendung von Bundeswehrsoldaten nach Kundus dann nicht ein reines Glücksspiel?

Nachdem man sich überhaupt auf Afghanistan eingelassen hat und allmählich realisiert, was das heißt, wird man um solche Experimente nicht herumkommen. Für die politische Bewertung, auch für die Nachbearbeitung, wird es sehr wichtig sein, genaue Kriterien dafür festzulegen, was unter Gelingen und Misslingen zu verstehen ist.

Welche Kriterien können das sein?

Natürlich zunächst einmal der Gesichtspunkt, ob Kundus tatsächlich über einen längeren Zeitraum hinweg stabilisiert worden ist. Und dann die Frage, ob es gelingt, die Kriegsökonomie in eine Friedensökonomie umzuwandeln – ob sich also eine formalisierte Ökonomie entwickelt, zu der auch gehört, dass die Zentralregierung dort Steuern abschöpfen kann. Gelingt das nicht, dann muss der Versuch wohl als gescheitert betrachtet werden.

Bedeutet das nicht auch, dass die ausländischen Truppen gegen den Drogenanbau vorgehen müssen?

Das ist wahrscheinlich der heikelste Punkt. Bei einem mittelfristigen Einsatz muss die kriminelle Ökonomie deutlich zurückgeführt werden. Das birgt die Gefahr, das Wohlwollen der örtlichen Kriegsherren zu verlieren, weil deren Ressourcenversorgung ja auf den Drogen basiert. Wenn man Problem jedoch ignoriert, dann hängt man die Messlatte so niedrig, dass das ganze Projekt uninteressant wird. Es bedeutet nämlich keine langfristige Stabilisierung, nur dafür zu sorgen, dass sich die Leute nicht gegenseitig an die Gurgel gehen.

Immer häufiger werden Militäreinsätze mit der Notwendigkeit begründet, humanitäre Organisationen schützen zu müssen, oder sogar damit, dass Soldaten selbst humanitäre Aufgaben erfüllen sollen. Halten Sie eine solche Verknüpfung für sinnvoll?

Ja, das halte ich schon für sinnvoll. Es kommt dabei darauf an, die Bedingungen des Gewaltabkaufs kontrollieren zu können, also die Bedingungen, zu denen die Kriegsherren auf Gewalt verzichten. Das können unbewaffnete NGOs nicht.

Das Internationale Rote Kreuz kann doch auf eine ganz eindrucksvolle Erfolgsgeschichte verweisen.

Das Rote Kreuz hält sich aus Konflikten heraus und beschränkt sich auf Nachversorgung. Es wird aber darum gehen, gewaltsame Auseinandersetungen offensiv zu unterbinden. Das ist sehr heikel und verlangt von den Kommandeuren viel Fingerspitzengefühl.

Was findet in Afghanistan eigentlich statt: ein Partisanenkrieg, ein Bürgerkrieg, ein zwischenstaatlicher Krieg oder einfach der Kampf der zivilisierten Welt gegen den Terrorismus?

All das gleichzeitig. Wahrscheinlich ist die Wahl auch deshalb auf Kundus gefallen, weil dort die Lage etwas weniger kompliziert ist als im Süden des Landes. Es geht in Kundus vor allem um die Befriedung der Warlords und nicht noch zusätzlich um den Kampf gegen Taliban oder Strukturen von al-Qaida. Man schleicht sich sozusagen in dieses riskante Projekt ein, indem man an einem Punkt ansetzt, wo die Gefahr des Scheiterns nicht so hoch ist.

INTERVIEW: BETTINA GAUS