Gab es einen Antisemitismus-Skandal auf der Frankfurter Buchmesse?

Bei der Bewertung der Frankfurter Buchmesse und ihres Versuchs einer Annäherung an die Literatur der arabischen Welt scheiden sich die Geister

ja

Er war als Ehrengast nach Frankfurt am Main eingeladen worden, der Privatsekretär des Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus: Mohammed al-Salmawy trug also anstelle seines kranken Freundes zur Eröffnung der Buchmesse dessen Grußwort vor. Was sollte falsch daran sein? Niemand nahm Anstoß. Eine Geste des Mitgefühls – denn Machfus sollte unbedingt Teil jenes Projekts sein, das eine knappe Woche lang die einflussreichste Ausstellung des literarischen Wesens im deutschsprachigen Raum dominieren sollte: die arabische Welt.

Doch Machfus’ Vorleser Mohammed al-Salmawy ist kein Unbekannter. Der Herausgeber der französischsprachigen ägyptischen Zeitung Al Ahram Hebdo ist, nicht nur in Kairo, eine publizistische Größe. Was die Buchmessenorganisatoren nicht eruieren konnten, ist: al-Salmawy hat sich auch als Rezensent von Autoren, die den Holocaust zur europäischen Bagatelle kleinrechnen, einen Namen gemacht. David Irving oder Roger Garaudy: Ihre holocaustleugnenden Lektüren will, so heißt es, al-Salmawy nur zitiert haben, selbst aber streite er nicht ab, dass den Juden Europa Leid zugefügt worden sei. Es mag eine schöne Übung für des Arabischen mächtige Philologen sein: Ob al-Salmawy jene Autoren nur referiert habe oder ob er sich deren Sichtweisen zu eigen gemacht habe. Manche Übersetzer erkennen nichts als Zustimmung. So oder so: Tatsache aber ist, dass al-Salmawy den Terror von palästinensischen Selbstmordattentätern gegen Israel affirmativ literarisiert hat. Und dass er, alles in allem, die palästinensische Tragödie für eine ähnliche wie die der europäischen Juden hält.

Die Buchmesse nun argumentiert, al-Salmawy habe beteuert, den Holocaust nicht zu leugnen, um Zahlen jedoch wolle er nicht feilschen. Die Frage ist nun: Darf in Deutschland einer, der, pardon, subtil die Schoah relativiert, indem er Israel mit Nazideutschland in Verbindung setzt, Teil der Krönungsmesse des deutschen Bildungsbürgertums sein? Die Organisatoren verweisen darauf, dass man im Vorfeld die arabischen Verlage mit der, so heißt es, juristischen Sondersituation vertraut habe: Die Leugnung des Holocausts stehe unter Strafe.

Eine freundlich gemeinter Wink mit Zaunpfählen, fürwahr, denn: In arabischen Ländern ist die Billigung des Holocausts so sehr Mainstream wie zugleich der Hass auf Israel. Als Deutscher hat man dort (Hitler!) fast moralischen Blankokredit. Die „Protokolle der Weisen von Zion“ – ein ewiger Bestseller! – hält man dort für ein gusseisern recherchiertes Dokument und nicht für eine antisemitische Hetzschrift. Zur Präzision: Nicht alle denken so. Auf der Buchmesse sprachen einige arabische Verleger mit doppelter Zunge: Einerseits nahm man die Offerte zum so genannten kritischen Dialog wahr und hielt an manchen arabischen Buchständen andererseits hierzulande verbotswürdige Literatur parat: als verlegerische Realität wohl, um nicht an den eigenen Märkten vorbei zu veröffentlichen.

Hätte man also einen wie al-Salmawy nicht einladen dürfen? Ja. Und: Muss man jeden Besucher aus jener Region durchscannen? Eine Kultur des Verdachts befördern? Ja, seit dem 11. September 2001 ohnehin. Israel, der Mossad, die Amerikaner, der Westen: Das sind die Feindbilder, die im arabischen Raum dominieren. Nicht der arabische Nationalismus selbst, der die Region rückständig und traumatisiert hält, ist Gegenstand einer dringend gebotenen Selbstkritik.

Man stelle sich vor, 1938 hätte in Casablanca eine Buchmesse stattgefunden, die das literarische Leben Deutschlands in den Mittelpunkt stellt. Auf der emigrierte AutorInnen fehlen – und stattdessen solche Literaten zu Wort kommen, die das deutsche Leid seit den Versailler Knebelverträgen erläutern. Das sei nicht vergleichbar? Ist es doch.

Schön, dass die arabische Bücherwelt mehr Beachtung bekommen hat. Die Buchmesse schwärmt von den vielen Artikeln, die publiziert worden sind. Jede Menge Neugier und – Goodwill. Gut so. Horizonte jenseits der eigenen Tellerränder zu entdecken, ist nie verkehrt. Falsch war aber, die Gäste nicht näher unter die Lupe zu nehmen. Das sei eine Mentalität des Verdachts? Unfug: zivilisatorische Vorsicht.

JAN FEDDERSEN

nein

Wer wollte, der konnte den „arabischen Schwerpunkt“ bei der Buchmesse leicht ignorieren. Entsprechend desinteressiert zeigten sich die meisten Besucher. „Hier wird doch ein Kuschelislam präsentiert“, meinte ein Kollege etwas enttäuscht. Seine Kritik hatte nur einen Schönheitsfehler: Er hatte noch nicht einmal den Versuch unternommen, eine der beiden riesigen Hallen aufzusuchen, in denen sich die arabischen Verlage präsentierten.

Solch vorschnellen Urteile sind symptomatisch für das deutsche Verhältnis zur arabischen Welt. Es herrscht freundliches Desinteresse, das aber jederzeit in offenes Misstrauen umschlagen kann: Man weiß ja schließlich, wie die Araber sind.

Natürlich war es eine politische Entscheidung der Buchmesse, den Dialog mit den zivilen Kräften der Region zu befördern. Und natürlich war es problematisch, sich dafür die Arabische Liga als Partner zu wählen, deren Kompetenz auf kulturellem Gebiet mehr als umstritten ist. Ihr offizielles Programm, das zum großen Teil aus Kunsthandwerk-Ausstellungen, Lyriklesungen und Folkloredarbietungen bestand, erinnerte denn auch stark an die Selbstdarstellung früherer Ostblockregime. Dafür verwandelte sich die meisten Panels der Buchmesse in ein Forum für säkulare Schriftsteller, Menschenrechtler und kritische Intellektuelle der Region: Ein Abbild der arabischen Zivilgesellschaft. Sie alle nutzten die Gelegenheit, um die Zustände in ihren Heimatländern anzuprangern. So geriet die Buchmesse wahrlich nicht zu einer Bühne arabischer Selbstbeweihräucherung.

Natürlich hatten auch viele Funktionäre, Staatsdichter und ähnlich dubiose Figuren den Weg nach Frankfurt gefunden. So wie Mohammed al-Salmawy, Herausgeber der französischsprachigen Wochenzeitung Al Ahram Hebdo, der zur Eröffnung der Buchmesse das Grußwort des verhinderten Nagib Mashfus verlas. Er hatte das schon 1988 in Stockholm gemacht, als Mashfus den Nobelpreis verliehen bekam. Doch vor sechs Jahren verteidigte al-Salmawy in einer Zeitungskolumne die Holocaust-Leugner Garaudy und Irving und redete dabei antijüdischen Verschwörungstheorien das Wort. (Deswegen gab es vor sechs Jahren in Frankreich schon einmal einen kleinen Skandal, als ihn die Académie Francaise mit einem Preis auszeichnen wollte.) Diese Geschichte hängt al-Salmawy bis heute an. Bei der Buchmesse reichte allein seine Anwesenheit schon aus, um Proteste zu provozieren. („Holocaustleugner gesellschaftsfähig“, hieß es in der taz.) Wo aber ist der Skandal? Denn al-Salmawy hat keine Rede gehalten, er hat nicht den Holocaust verteidigt, und den meisten war er bislang gänzlich unbekannt. Ganz sicher ist es deshalb Unsinn, aus seinem Auftritt ein stillschweigendes Einverständnis mit antisemitischen Positionen abzuleiten, wie das manche getan haben. Vielleicht hätte mal jemand al-Salmawy fragen sollen, wie er heute zu seinen Auslassungen von einst steht?

Nun kursiert in der arabischen Welt so manches antisemitische Vorurteil: Ein Umstand, der von vielen Staaten billigend in Kauf genommen wird; lenkt die Konzentration auf den äußeren Feind doch von inneren Problemen ab. So gesehen ist es ein Erfolg, dass es der Buchmesse gelungen zu sein scheint, solche Manifestationen außen vor zu lassen. Immerhin wurde dort mit der Lupe (nach jeder Spur von Antisemitismus) gesucht. Auf eine Anzeige des Simon-Wiesenthal-Centers hin hat die Staatsanwaltschaft eine Reihe von arabischen Büchern überprüft, konnte aber nichts Strafbares finden. Trotzdem wurde der Vorwurf auch nach der Buchmesse erneut laut.

Diese Anschuldigungen zeugen von einer Kultur des Verdachts, die auch ohne Beweise auskommt. Und vom festen Willen, weiter an der Hysterieschraube zu drehen. Es ist eine Kritik, die jeden Versuch eines Dialogs pauschal als „naiv“ diffamiert, wenn er nicht gleich als Kriegserklärung daher kommt.

Sicher gibt es im arabischen Diskurs eine fatale Fixierung auf Israel, die zuweilen antisemitische Formen annimmt. Aber sich allein für diese Auswüchse zu interessieren, trägt alle Züge einer deutschen Obsession.

DANIEL BAX