Wer jetzt kein Ticket hat …

David Bowie war in Berlin und sein Konzert war ausverkauft: Das war schlecht für die, die sich in letzter Minute vor Ort eine billigere Karte kaufen wollten, es war aber gut für Bodo, den größten der kleinen Schwarzhändler Berlins

Bei diesem Preis kann Bodo sich diesmal keine Karte für sich selbst aufheben

Meistens weiß man es schon im weitesten Umkreis der Konzerthalle. Wenn sich schon am U-Bahn-Ausgang einige Leute mit ihren kleinen, zaghaften Zetteln positioniert haben, wenn man dann auch noch auf dem Weg von links und rechts angesprochen wird, ob man „noch welche über“ hat, dann beginnt man zu ahnen: Die Karten stehen schlecht. Also, das heißt, die Karten stehen hoch im Kurs, und die Chancen, heute noch eine halbwegs erschwingliche für David Bowie zu erstehen, sind klein. Schade: Im September vor einem Jahr konnte man kurz vorm Konzert von David Bowie am selben Ort noch Karten für 20 oder 30 Euro erstehen. Vielleicht lag es daran, dass damals Wahlabend war. Heute jedenfalls ist die Berliner Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg ausverkauft, die Karten, die im Vorverkauf 40 oder 50 Euro kosteten, gehen jetzt für 80 weg. Unbezahlbar.

Die letzte, die wirklich allerletzte Hoffnung heißt jetzt Bodo *. Bodo ist der Mann, der immer Karten hat. Obwohl er eher klein ist als groß, sichtet man ihn vor annähernd jedem Berliner Konzert ganz schnell. Das liegt daran, dass er von den kleinen Dealern der größte ist. Trotz schäbiger Windjacke und komischer Frisur strahlt Bodo eine große Würde aus. Er gehört nicht zu denen, die vor Ort armen Naiven Karten abschwatzen und sie fünf Minuten später zum doppelten Preis an andere arme Naive weiterverkaufen. Bodo hat Berufsethos. Und außerdem ist er sehr scheu. Es kostet viel Zeit und Geduld, sein Vertrauen zu gewinnen. Man muss schon ein paarmal mit ihm sprechen, will man eines Tages einmal von ihm angelächelt werden. Bis er er ins Plaudern kommt, da müssen schon Jahre hartnäckiger und gleichbleibend höflicher Bemühungen ins Land gegangen sein.

Bodo verkauft seit 20 Jahren Karten vor Konzerten, von der Sozialhilfe allein kann er nicht leben. Wer sich unter Schwarzhandel mit Konzerthandel ein einfaches Geschäft vorstellt, der liegt völlig daneben, sagt Bodo. Man muss das Geschehen in der Stadt schon ganz genau beobachten, um seine Karten Gewinn bringend verkaufen zu können. Es gibt so viele Unsicherheitsfaktoren: Ob ein Konzert ausverkauft ist oder nicht, kann vom Wetter abhängen oder von den Konkurrenzveranstaltungen. Eine Band kann noch so viele Platten verkaufen, manchmal funktioniert sie live einfach nicht, und das Publikum weiß das. Dann die Probleme mit dem Kartenvorverkauf. Viele Ticketoffices verkaufen höchstens fünf Karten pro Person. Um Karten online zu kaufen, braucht man Computer und Kreditkarte – keine Selbstverständlichkeit für einen Sozialhilfeempfänger.

An diesem Abend vor dem David-Bowie-Konzert wirkt Bodo leider leicht bedrückt. Er hat sich am Vorabend bei Dave Gahan total verschätzt. Das Konzert war schlecht besucht, und er musste seine Karten weit unter Einkaufspreis verkaufen. Weil er deshalb jetzt Miese hat, kann er seine letzten Bowie-Karten leider auch nicht unter Wert verkaufen. 70 Euro will er mindestens. Es tut ihm sichtlich Leid, aber er braucht das Geld. So hängt man mit Bodo also noch eine Weile herum, zerreißt sich ein bisschen das Maul über die vielen älteren Ehepärchen, die Bowie sehen wollen, und freut sich mit ihm, als Bodo seine Karten für 80 Euro an ein paar blöde Schnepfen verschachern kann.

Bei diesem Preis kann sich Bodo diesmal keine Karte für sich selbst aufheben. Irgendwie ist es trotzdem gar nicht traurig, noch eine Weile mit ihm draußen stehen zu bleiben und zuzuhören, wie Bowie sein erstes Lied anstimmt, „Rebel Rebel“ aus dem Jahr 1974. Es hat direkt was Versöhnliches, sich noch ein paar gelbe Herbstblätter auf den Kopf fallen zu lassen und dann gemeinsam Richtung U-Bahn zu gehen. SUSANNE MESSMER

* Name von der Red. geändert