: Möge dein Fett überlaufen
Wütend ausgestoßen: Mongolische Beschimpfungen im Wandel der Zeiten
Früher bestanden die mongolischen Schimpfworte oft aus positiv besetzten Begriffen, die nur wütend ausgestoßen wurden – wie zum Beispiel „Buyan“ (Heil, Wohltat), das/die „aufblühen“ möge: „Buyanaa delgeree“; oder „Tos“ (Butter, Fett), die/das beim Kochen „überlaufen“ möge: „Tosoor gooj“.
Analog zum Russischen hat das Wort „Rot“ (Ulaan) bis heute im Mongolischen eine positive Bedeutung – im Sinne von schön (so heißt zum Beispiel die Hauptstadt seit 1924 Ulaanbaatar: Roter Held). In der alten kriegerisch-schamanistischen Bedeutung „Ulai“ steht Rot jedoch in engem Zusammenhang mit Blut, Kadaver und Aas und ist negativ konnotiert: Es beschwört Unheil herauf und wurde deswegen früher gern vor Schimpfworte gesetzt. Ältere Frauen auf dem Land benutzen noch immer das Schimpfwort „Ulaan suhai“ (Rote Tamariske), alte Männer beschimpfen Frauen als „Ulaan gichii“ (Rote Hündin), und Erwachsene ihre Kinder als „Ulaan zulbasga“ (Rote Fehlgeburt) – so verfluchten im Übrigen auch die buddhistischen Mönche 1932 die sowjetischen und mongolischen Soldaten, bevor sie von ihnen im Zuge der Liquidierung der Konterrevolution erschossen wurden. Dabei kamen sozusagen beide Bedeutungen von „Rot“ zum Tragen. Ein beliebter alter Fluch, den Kinder nicht aussprechen dürfen, ist „Tsusaar urs!“ (Fließe in deinem Blut davon). Wenn man sich von jemandem übervorteilt fühlt, beschimpft man ihn als „Ulaan luivarchin“ (Roter Schurke), wobei das von Blut abgeleitete Adjektiv hier verstärkend wirkt, so wie das „Dumm“ (teneg) vor „Schwein“ (gahai) und „Kuh“ (Uher). Eine Reihe Schimpfworte kommt ohne solche Adjektive aus: „Huts chi“ – du heulst! (wie ein Hund) Patrycia Wojciechowska bzw. „Uli chi“ – du heulst! (wie ein Wolf). Kinderlose Frauen beschimpft man als „Suvai em“ (unfruchtbar), Frauen untereinander beschimpfen sich als „Yanhan“ (Bordell) oder auch als „Banzal“ (Rock) – im Sinne von offenem Rock, was sowohl „Flittchen/Nutte“ als auch – auf Männer bezogen – „Hurenbock“ bedeuten kann. Aus dem Kontakt mit Russen stammt das vor allem von Kindern benutzte Schimpfwort „Orosyin schonhor“ (russische Adlernase), aus den neueren sowjetischen Zeiten das Schimpfwort „Bertegchin“ (Egoist/Spießbürger). Wenn eine Mongolin von einem Rotarmisten schwanger wurde, beschimpfte man sie als „Orosyin gudas“ (russische Matratze), ein uneheliches Kind wird als „honotsiin shees“ (Urin eines Gastes) schwer beleidigt.
Mit der Sowjetisierung wurden viele russische Schimpfworte ins Mongolische übernommen: Das häufigste – unter Männern – ist „Na hui“ (hau ab – wörtlich: Geh zum Schwanz) und „Durak“ (Dummkopf). Frauen, aber auch Jugendliche, beschimpft man als „Pizda“ (Fotze). Diese Worte haben sich bis heute erhalten, wenn es auch immer weniger Leute gibt, die sie verstehen. Daneben haben sich aufgrund des engen deutsch-mongolischen Kulturkontakts auch einige deutsche Schimpfworte eingebürgert – vor allem „Scheiße“.
Neuerdings kommen jedoch immer mehr englische Schimpfworte in Mode, bei jungen Leuten beliebt ist „Fuck you!“ und „Fuckin’ shit“, darüber hinaus haben sie auch einige neue mongolische Schimpfworte kreiert: „novshoo“ (Trödel, altes Gerümpel), „aa muu novsh“ (übler Krempel) oder „aa muu bandia“ (übler Schwuler) bzw. „aa muu hulgaichaa“ (übler Gauner) und „Guilgachin“ (Bettler/Penner). Unter Erwachsenen sind nach wie vor die Schimpfworte „ee Huuree“ (Leiche) und „Oriloo tahia chini“ (Jammerndes Huhn) bzw. „Maanag“ (Schwachkopf) üblich.
Schon lange in der Mongolei meistens als Händler oder Bauern lebende Chinesen werden abfällig als „Hujaa“ bezeichnet (von „Huuchin humuus“ – ehemalige Menschen). Während man die schon lange in der Mongolei lebenden Russen, die keine Sowjetbürger sind, als „Tsagaach“ (Emigranten) abtut. Früher hat man sie auch „Tavan zuugiin oros“ genannt – „500er-Russen“, das bezog sich auf die Insassen eines Arbeitslagers nördlich von Ulaanbaatar, wo man einen Teil der zuvor in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen Rotarmisten nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierte. Einige blieben später in Ulaanbaatar, der abfällige Name wurde auch noch auf ihre Kinder übertragen. Die ebenfalls in Lager internierten japanischen Kriegsgefangenen wurden dagegen ironisch „Samurai“ genannt – von ihnen blieb jedoch nach 1955 keiner im Land – bis dahin errichteten sie als Zwangsarbeiter in Ulaanbaatar u. a. die Oper, ein Kino, das Außenministerium und einige Wohnviertel im Zentrum.
Hillary Clinton meint in ihrer Autobiografie, dass die Sowjets dort zuvor alle alten und schönen Gebäude abgerissen hätten – das ist aber nur ihrem verfluchten Antikommunismus geschuldet, denn in Wahrheit befanden sich dort Jurtensiedlungen und Holzhäuser, die an anderer Stelle wieder aufgebaut wurden. Noch heute gibt es viele solcher Siedlungen in Ulaanbaatar. Manche leben auch in der Stadt lieber in Filzjurten als in Wohnsilos aus Beton. So sieht denn auch die große Metallplastik vor dem Nationalmuseum wie ein Fluch auf den eckigen Raum aus, aus dem sich der Mensch vergeblich zu befreien versucht. Eigentlich soll dieses Denkmal an die stalinistische Repression in den 30er-Jahren erinnern. Es wurde 1996 am 10. Dezember, dem Tag der Demokratie und der Menschenrechte, eingeweiht. DONDOG BATJARGAL, HELMUT HÖGE
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