Schöne Platten fremder Leute

Sie verkörpern ein neues Hipstermodell, das sich vom Unterschied zwischen DJ und Band verabschiedet hat: Gruppen wie Soulwax aus dem belgischen Gent oder Munk aus München findet man sowohl hinter den Plattenspielern als auch an Instrumenten

Sowohl Munk als auch Soulwax retten so einiges aus den langen Nächten hinter demDJ-Pult hinüber ins Studio

VON HEIKO BEHR

„Irgendwann klingelte das Telefon hier bei mir zu Hause, David Bowie war dran. Er fragte, ob wir nicht Lust hätten, einen Remix für ihn aufzunehmen. Na ja, Lust hatten wir natürlich schon, er ist schließlich einer unserer großen Helden. Aber wir hatten einfach keine Zeit, deshalb haben wir ihm abgesagt.“ Stephen Dewaele kichert am anderen Ende der Leitung. Er sitzt gerade in seinem Haus in Gent am Küchentisch und wartet darauf, dass seine New Yorker Freundin mit der bestellten Salamipizza zurückkommt. Sie sehen sich „mindestens einmal die Woche“, abwechselnd in Gent und New York. „Als Kylie Minogue uns dann bat, auf ihrer privaten Geburtstagsparty aufzulegen, haben wir trotz Zeitmangels zugesagt – kann man Kylie irgendetwas abschlagen?“ Geschichten dieser Art kann er am Fließband erzählen, nur um dann bescheiden abzuwinken: ist doch langweilig, dieses Namedropping.

Zusammen mit seinem Bruder David bildet Stephen sowohl das DJ-Duo 2ManyDJs als auch die Kernzelle der Rockband Soulwax. Den Belgiern ist dieses penetrant lässige Understatement zu Eigen, diese betonte Unbefangenheit mit den Stars. Stephen kann mit kindlicher Begeisterung von der New Yorker Fashionshow und den Salzburger Festspielen erzählen, ohne sich dabei ständig auf die Schulter zu klopfen. Fast schon selbstverständlich, dass sie jegliches Trendsettertum weit von sich weisen und betonen, „nur ihr Ding“ zu machen. Stephen registriert die fassungslose Begeisterung eher ungläubig, die er mit seinen DJ-Sets auslösen kann: „Ich verstehe es immer noch nicht. Manchmal stehen Leute drei Stunden vor unserem DJ-Pult und beobachten uns beim Auflegen. Dabei sind wir doch nur Leute, die fremde Platten auflegen, das war’s!“

Lange ist es noch nicht her, da waren die Brüder nur die Mitglieder einer Band, die über die belgischen Grenzen hinweg kaum bekannt war. Auch wenn ihre Soulwax-Alben „Leave the story untold“ (1996) und „Much against everyone’s advice“ (1998) ihre Namen in Spezialistenkreisen aufgrund ihrer Mischung aus poppiger Aufgeschlossenheit, knackigen Rockismen und eines gewissen kruden Humors aufhorchen ließen, so blieb ihnen der große Durchbruch trotz eines englischen Top-20-Hits verwehrt. Mit derselben Attitüde feierten die Brüder dann jedoch Erfolge in einem anderen Kontext – im Club.

Ihr „As heard on Radio Soulwax Part 2“ (2002), das sie als Duo 2ManyDJs veröffentlichten, gilt als Mainstream-Durchbruch eines Trends namens Bootlegging. Stephen und David wühlten sich durch Jahrzehnte Popmusik und verquirlten Songs zu neuen Hybriden: Sie kreuzten Salt ’n’ Pepa mit den Stooges, die Beatles mit Kraftwerk, die Beastie Boys mit Herbie Hancock. Allein die Lizensierung der Stücke zog sich über drei Jahre hin. Mit diesen Monstern im Rücken tourten sie dann durch die angesagtesten Clubs in London, New York, Moskau und Tokyo. So machten sie sich ihren Namen, so knüpften sie ihre Kontakte. Nicht erst seitdem MTV die Idee des Bootleggings in einer eigens konzipierten Serie ausschlachtet, haben sie das Interesse verloren. Der Mainstream frisst gierig die Hypes des Undergrounds, woraufhin sich dieser neu orientiert – ein ewiger Kreislauf.

Diese Mechanismen haben auch Munk, bestehend aus Mathias Modica und Jonas Imbery, kennen gelernt. Es ist keine Überraschung, dass auch dieses Interview am Telefon geführt werden muss. Wie Stephen Dewaele zuvor entschuldigt sich auch Mathias dafür, keine Zeit zu haben für ein persönliches Treffen. Der Stress. Ähnlich wie die belgischen Brüder sind auch die beiden Münchner selten über einen längeren Zeitraum in ihrer Heimatstadt. München bleibt dennoch ihr Kraftfeld: „Es wär doch blöd, wenn wir einen auf großstädtisch, auf New Yorker machen würden. Wir leben und arbeiten in München, und alle Leute, mit denen wir arbeiten wollen, kommen nach München.“ Wie bei jeder Frage antwortet Mathias bestimmt und selbstbewusst. Und Munk ist sich des Status sehr sicher, den sie mittlerweile innehaben. Ihr Bekanntheitsgrad als DJ-Team ist über die Jahre durch innovative House-Sets in ganz Europa ständig gewachsen, zunehmend werden sie bei Pariser Modeshows (etwa bei Givenchy) gebucht.

Seit ihren Anfangstagen beweisen sie dabei Timing und Gespür für den richtigen Sound: So begannen die Freunde Mitte der Neunziger die ersten Auftritte von Squarepusher, Les Rhythmes Digitales oder auch The Rapture zu organisieren – ohne großes Aufsehen. Als nächsten Schritt gründeten sie das Label Gomma, begannen in der bayrischen Umgebung aufzulegen, veröffentlichten grandios tanzbare, eklektische Compilations. So bauten sie innerhalb der Jahre ein Netzwerk von Freunden und Bekannten auf, das sich kurz darauf auszuzahlen begann.

Sie entschlossen sich, obskure Aufnahmen einiger New Yorker Früh-80er-Undergroundheroen zu sammeln. Mathias berichtet: „Über Freunde haben wir in New York den ehemaligen Mitbewohner von Basquiat kennen gelernt. Der hat uns mit vielen Künstlern bekannt gemacht.“ Nachdem alle Plattenfirmen bei diesem dubios-kruden Stilmix aus NoWave, Proto-Funk und Electro-HipHop abgewunken hatten, brachten die beiden die Compilation kurzerhand selbst als „Anti NY“ (2001) heraus. Gepusht durch DJ-Sets, die sie mittlerweile regelmäßig nach New York, Paris und Tokio führte, verstärkt durch gezielte Radioauftritte, war es dann so weit: PunkFunk war The Next Big Thing. „Unser Vertrieb hat uns damals davon abgeraten, aber jetzt gibt es neun Compilations, die alle fast den gleichen Titel haben! Da sitzt du irgendwo in München und denkst dir irgendwas aus, und dann kommen alle großen Labels dieser Welt und machen das nach, das ist schon nett …“

Gerade im Gegensatz zum weltumarmenden Gestus Stephen Dewaeles bleibt Mathias Modica relativ kühl und reserviert. Hier treffen zwei Hipster-Modelle aufeinander, die wenig miteinander gemein haben. Während 2ManyDJs in ihren Sets dem Publikum geben, was es verlangt (Hits, Hits, Hits!) und fast schon wider Willen die Szene anziehen, durchweht Munks Sound ein Hauch von Distinktionsgewinn, der naturgemäß auf kleine Kreise beschränkt bleibt. Während 2ManyDJs sich nie um Vorwürfe seitens der Szene geschert haben, wandeln Munk auf dem schmalen Pfad der geschmackvollen Beschränkung. Und beide legen ihre Identität frei, wenn einerseits Stephen Dewaele sich in Fahrt redet: „Weißt du, es muss einfach nur rocken, es muss Spaß machen.“ Und andererseits Mathias Modica betont: „Normalerweise gefällt uns nicht das, was allen gefällt. Allerdings ist es auch nicht das erklärte Ziel, sich abzugrenzen …“ Auch auf den Band-Alben „Aperitivo“ von Munk und „Any Minute Now“ von Soulwax lassen sich diese Haltungen leicht nachvollziehen. Beide Bands konzentrieren sich komplett auf ihren eigenen Sound. Und retten dabei so einiges aus den langen Nächten hinter dem DJ-Pult hinüber ins Studio.

Den Gebrüdern Dewaele geht es in „Any Minute Now“ um die große, weit ausholende Rockgeste. Pointierter als auf den Vorgängern, homogener, gitarrensatt, groovender. Und dieser Groove speist sich dann auch schon mal aus gnadenlos monotonen Vierviertel-Bassdrums und den unweigerlich schiebenden Synthiebassläufen. „Das Konzept war eine Rockplatte, keine Danceplatte, auch wenn viele Leute das von uns erwartet haben“, ergänzt Steven. „Den Groove aus den DJ-Sets, den Spannungsaufbau, die Erwartungshaltung, all das haben wir allerdings übertragen auf diese Platte.“ Dazu hält Produzent Flood alle Regler beständig an der Grenze zur Übersteuerung, was die leicht hysterische, unwahrscheinlich dynamische Grundstimmung des Albums verstärkt. Wie in ihren DJ-Sets zielen Soulwax auf den maximalen Effekt ab und scheuen keine Offensichtlichkeiten.

Die Stimmung auf Munks „Aperitivo“ hingegen lässt sich weniger deutlich fassen „Wir hatten die Idee, es so zu machen, wie Prince-Alben früher gebaut wurden: da gab’s zwei Balladen, zwei Partyhits, zwei für die Freaks, zwei für die Mädchen und zwei poppige Stücke. Da ging es um die Haltung, die die Band hatte, nicht um stilistische Einheit.“ Als Einheit klingt die Platte wie ein gelungenes DJ-Set, das sich auf keinen Beat, kein Tempo, keine Rhythmik festlegen lässt: schwüler Beckenfunk, Vierviertel-Bassdrumwahnwitz, hysterischer Hedonistenpunk, Kuhglocken, schneidende Snares. „Aperitivo“ arbeitet mit subtilen Discoreferenzen und ironischen Bezügen, allerdings auch mit einer offensiveren Popattitude, die der Platte gut tut.

Als DJs haben 2ManyDJs und Munk gelernt, den Hörer an die Hand zu nehmen – hier offensiv und überwältigend, dort eher raffiniert und clever. So lassen sich beide Band-Alben als konsequente Weiterführung der Sets in den Clubs lesen und versöhnen zwei gegensätzliche Situationen: Partyalben für zu Hause, Ohrensesselrocker für die Disco.

Munk: „Aperativo“, Gomma; Soulwax: „Any Minute Now“, Pias