: Todesstrafe für Schüler
KGB-KNAST Das Potsdamer Gefängnis des ehemaligen sowjetischen Geheimdiensts steht für eine bislang kaum erforschte Geschichte der Unterdrückung
■ Neben Berlin feiert auch Potsdam 20 Jahre friedliche Revolution. Eine Stadtrundfahrt der Touristinformation führt unter anderem zur Glienicker Brücke, zum Schloss Cecilienhof und in die „verbotene Stadt“ des KGB. Infos unter www.potsdamtourismus.de
■ Das KGB-Museum heißt offiziell „Gedenkstätte Leistikowstraße“. Das ehemalige Gefängnis hat am Wochenende von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Infos über die ausschließlich geführten Besuche unter Telefon: (03 31) 2 01 15 40.
■ Ein weiterer Gedenkort ist die Gedenkstätte Lindenstraße 54: In dem seit 1820 als Gerichtsort und Gefängnis benutzten Gebäude wurden von 1952 bis 1989 politische Häftlinge der Stasi verhört, gefoltert und jahrelang inhaftiert. Die weitläufige Anlage kann dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden. Tel.: (03 31) 2 89 68 03. (kl)
VON CARL ZIEGNER
„Wer nicht gehorchte musste tagelang in den Karzer“, erklärt Sebastian Ziegler und zeigt auf eine enge Strafzelle im Keller, die nicht größer als einen Quadratmeter ist: „Kein Licht, keine Frischluft, kein Essen und Trinken.“ Zeitzeugen hätten berichtet, dass sie in diesem Karzer nackt und bis zum Knöchel in kaltem Wasser stehen mussten. Eine zeitliche Orientierung hätten nur die Kirchenglocken aus der Umgebung gegeben.
Ziegler ist Student der Potsdamer Uni und führt an den Wochenenden durch das ehemalige KGB-Gefängnis in der Potsdamer Leistikowstraße 1. Direkt am Neuen Garten und dem Schloss Cecilienhof fällt das unsanierte, graue Haus mit seinen vergitterten Fenstern deutlich auf. Authentizität war dem Träger, der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, wichtig. Sie hat das Haus deshalb schlicht konserviert und begehbar gemacht.
Übrigens müsse er mal mit einem großen Missverständnis aufräumen, erklärt Ziegler während des Rundgangs: „Im Volksmund wird das Haus zwar KGB-Gefängnis genannt, aber der russische Geheimdienst war nie hier. In diesem Haus residierte ein Militärtribunal der Antispionageeinheit der sowjetischen Armee.“ Die habe dem Staatssicherheitsministerium unterstanden und nicht wie der KGB dem Innenministerium.
Dieser Fakt erschwert der Stiftung die Rekonstruktion der Geschehnisse im ehemaligen Pfarrhaus, das der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein (EKH) 1916 baute. Nach dem Abzug des sowjetischen Militärs aus Deutschland vor 15 Jahren gewährte Moskau lediglich einen kurzen Einblick in die Akten des Innenministeriums, aber eben nicht in die des Staatssicherheitsministeriums. So blieben der Stiftung nur die Zeitzeugen. 1994 sind die letzten russischen Soldaten aus Potsdam in ihre Heimat zurückgekehrt, so Ziegler, und mit ihnen wohl auch alle Dokumente. Bis auf einige Pritschen habe das Haus leer gestanden.
Immerhin: Für die Zeit zwischen 1945 und 1953, als zahlreiche deutsche Zivilisten wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Gegnerschaft gegen die sowjetischen Besatzer oder die DDR einsaßen, fanden sich Zeitzeugen. Sie berichteten von unmenschlichen Behandlungen, Folter und drakonischen Strafen. Männer, Frauen und Jugendliche, Deutsche und Russen, wurden in der Leistikowstraße so lange verhört, bis sie endlich die in Russisch verfassten Selbstbezichtigungen unterschrieben. „Wir schätzen, dass es ungefähr 1.200 deutsche Gefangene gegeben haben muss“, sagt Ziegler. „Zwischen vier und acht Menschen mussten in diesem Verlies ausharren. Je nach Widerstand blieben die Gefangenen ein bis sechs Monate. Niemand wurde freigesprochen.“
Die Mindeststrafe des Militärtribunals waren 15 Jahre Zuchthaus oder Arbeitslager. An der Tagesordnung war auch die Todesstrafe, die wie alle Urteile im Geheimen und ohne Richter und Verteidiger verhängt wurde. Am schrecklichsten sei die Geschichte einer Potsdamer Klasse mit 13-Jährigen gewesen, berichtet Ziegler. Er steht jetzt in einem mintgrün gestrichenen Raum im ersten Geschoss des Hauses. Hier warteten die Verurteilten, Rücken an Rücken sitzend, teilweise tagelang auf ihren Abtransport. Die Schüler hätten in der Nachkriegszeit das Verbrechen begangen, den Russischunterricht nicht gut zu finden. Das habe gereicht, um sie wochenlang in der Leistikowstraße zu verhören und schließlich abzuurteilen. Einer von ihnen sei mit dem Tod bestraft worden. Der Grund: antisowjetische Agitation. Hingerichtet wurden die Gefangenen in Moskau, so Ziegler. Warum dieser logistische Aufwand für die Vollstreckung betrieben wurde, weiß er nicht.
„Es ist eben sehr wenig bekannt“, rechtfertigt Ziegler die Wissenslücken. „Das Gefängnis war in einem militärischen Sperrbezirk. Den meisten Potsdamern war bis 1994 nicht einmal seine Existenz bekannt.“ Die Stiftung der Leistikowstraße will deshalb jetzt ein Projekt starten. An vielen Wänden der Zellen und Karzer fand man unzählige Inschriften, von den Gefangenen mit den Fingernägeln eingekratzt. Es sind Tagesstriche, Namen oder einfache Zeichnungen. Eine Forschungsgruppe soll sie jetzt dokumentieren und versuchen, über Kirchenbücher und Rotkreuz-Listen weitere ehemalige Insassen ausfindig zu machen – auch in Russland.
Der EKH, dem das Gefängnis 1994 rückübertragen wurde, baute vor einigen Jahren das Nachbarhaus um. Das ehemalige Verhörgebäude ist jetzt schön hell und saniert. Das ist wohl die Ironie des Schicksals.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen