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Archiv-Artikel

HIV-Patienten können nicht warten

Bei der Suche nach wirksamen Medikamenten gegen den Aidsvirus stocherten die Forscher anfangs noch im Dunkeln.Erst mit der Einführung des Aidscocktails nahm in den Industrienationen die Todesrate bei den HIV-Infizierten rapide ab

„Das AZT wurde in irre hoher Dosierung verschrieben“ Von 1996 an nahmen die Todesraten der HIV-Positiven rapide ab

VON GUDRUN FISCHER

„Ich habe eben einen Schokoriegel gegessen, das ist nicht das optimale Frühstück, aber es geht halt nicht anders.“ Thomas Frenkl bringt morgens nichts runter. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn er nicht morgens zu seinen vier Tabletten etwas essen müsste. Sonst wirken die Aidsmedikamente nicht. Thomas Frenkl ist seit 23 Jahren HIV-positiv und nimmt seit acht Jahren Medikamente.

Dabei hatte er noch Glück. Er erkrankte erst 1991. Da war das erste Aidsmedikament, das AZT, schon seit vier Jahren auf dem Markt. Doch Thomas Frenkl wollte es nicht nehmen. „Das AZT wurde in irre hoher Dosierung verschrieben. Dieses Mittel war in den 60er-Jahren aus Heringssperma entwickelt worden und zur Karzinomtherapie gedacht.“ Allerdings musste das Mittel wegen seiner Toxizität in den 60er-Jahren verworfen werden. „Es wurde im Zuge von HIV wieder hervorgekramt und getestet. Man muss sich das so vorstellen: In den Jahren bis 1994 hat man einfach alle möglichen Substanzen, die es irgendwann in der Pharmahistorie gab, auf das HIV angewandt und gekuckt, ob sie eine Wirkung haben.“

AZT, auch Retrovir genannt, führt nach ein paar Monaten Einnahme oft zu Resistenzbildung. Das war für Frenkl ein Grund, die Einnahme zu verweigern – trotz seiner Krankheit. Er erkennt aber an, dass einige seiner Bekannten AZT vertrugen und es immer noch nehmen.

Für AZT-resistente PatientInnen, die dann gewissermaßen austherapiert waren, gab es erst Anfang der 90er-Jahre neue antivirale Medikamente aus derselben Gruppe wie das AZT.

Doch auch gegen diese entwickelten HIV-Kranke Resistenzen. Zufällig kam heraus, dass Menschen, die zwei unterschiedliche Wirkstoffe nahmen, einen längeren Gewinn davon hatten. „Das führte zu dem Gedanken der Kombinationstherapie“, erklärt Thomas Frenkl.

1995 kam eine zweite Medikamentenklasse auf den Markt. Die Proteaseinhibitoren. „Da hat man das Virus nicht nur in der reversen Transkriptase, sondern beim Ausschleusen in der Protease gehemmt“, erklärt Frenkl. „Und es gab starke Vermutungen, dass auch diese Mittel in Kombination besser wirkten.“ Das führte dann 1996 zu dem eindeutigen Schluss, dass eine Dreierkombination in der Lage ist, beim HIV unter Umständen sogar die Replikation zu hemmen. Der Aidscocktail war geboren.

Von 1996 an nahmen die Todesraten der HIV-Positiven rapide ab. Doch nicht nur die PatientInnen hatten einen Gewinn. Für die Pharmaunternehmen war eine neue Ära angebrochen. Sie lernten, Medikamente am Bildschirm zu entwickeln. „Da haben sich irgendwelche schlaue Leute gefragt, was für eine Molekularstruktur hat das HIV, was für eine Molekularstruktur kann ich theoretisch dagegen entwickeln? Und da wurden die neuen Proteasehemmer direkt am PC konstruiert.“

Finanziell hat sich nach Ansicht von Thomas Frenkl die Pharmaindustrie an den Aidsmedikamenten kaum bereichern können, denn der Forschungsaufwand war immens und die Anzahl der PatientInnen in der westlichen Welt, die sich die Medikamente leisten konnten, war zu klein. Aber die Konzerne haben methodologisch gewonnen. „Es ist wesentlich kostengünstiger, Medikamente am PC zu entwickeln als in riesigen Feldversuchen, in denen man Substanzen gegen Bakterien oder Viren in Reagenzgläsern testet und dann am Menschen.“

Frenkl, der seit Jahren die Positiven-Treffen mitorganisiert, hat sich 1996 entschieden, Medikamente zu nehmen. „Ich hatte die Aussicht, entweder zu sterben oder eins von diesen verteufelten Medikamenten anzufassen. Ich hatte mich dann für eine der ersten Kombinationstherapien entschieden, die auf dem Markt waren, das war Retrovir, Epivir und Invirase.“

In den letzten Jahren beobachtete Thomas Frenkl einen Wandel in der Pharmaindustrie. „Die haben gemerkt, dass sie die Community der Schwulen und der Positiven brauchen. Gegen die Community läuft nichts.“

Die Pharmaindustrie investierte in die Imageverbesserung. Doch beim Herausbringen neuer Medikamente hat die Pharmaindustrie einen grausamen Vorteil auf ihrer Seite. Durch die vielen verzweifelten Kranken, die keine Zeit haben, auf die Jahre dauernden Zulassungsverfahren zu warten und die deshalb freiwillig an Medikamentenstudien teilnehmen, können Aidsmedikamente schneller auf den Markt gebracht werden. Auch wenn sie noch nicht voll ausgereift sind.

Zur konventionellen Medizin sieht Frenkl keine Alternative: „Wir verfügen über ein umfangreiches kollektives Wissen, auch der alternativen Medizin.“ Da es in den Jahren 1981 bis 1995 keine wirksame Behandlung gegeben habe, hätten sich die Positiven auf verschiedenste alternative Heilmethoden eingelassen. „Wenn irgendetwas geholfen hätte, dann wäre das der Community nicht verborgen geblieben. Und ich selber habe auch zig verschiedene Methoden ausprobiert, dem Virus beizukommen, es hat alles nicht gefruchtet.“ Die 21.000 Verstorbenen in der Bundesrepublik würden das zeigen.

„Insofern würde ich mich auch nicht als Versuchskaninchen fühlen, wenn meine jetzige Kombinationstherapie versagt und es gibt nichts mehr, was wirkt. Dann würde ich eventuell auch die neuen Fusionshemmer und die Integrasehemmer ausprobieren.“