: Der Name des Teufels
Der Mensch ist ein Meer voller Banknoten: Der Band „Africa Screams – Die Wiederkehr des Bösen in Kino, Kunst und Kult“ verortet das wahre afrikanische Kino in der nigerianischen Videoproduktion
VON MAX ANNAS
Die christlichen Missionare mussten in den afrikanischen Kolonien harte Arbeit leisten, um die Bipolarität ihrer Religion zu vermitteln. Auf der einen Seite der weit entfernte liebe Gott, auf der anderen der Teufel als Inkarnation des Bösen. So wie der Monotheismus auf wenig Verständnis bei den Kolonisierten stieß, war ihnen auch der Überböse ein fremdes Bild. Und so mühten sich die Missionare, dem Teufel einen Namen zu geben – und scheiterten oft.
Im Eröffnungsbeitrag zu „Africa Screams – Die Wiederkehr des Bösen in Kino, Kunst und Kult“ schreibt der Herausgeber Tobias Wendl: „In afrikanischen Theo- und Kosmologien sind die Demarkationslinien zwischen den Instanzen des Guten und des Bösen deutlich weniger rigide gezogen“. Birgit Meyer beschreibt, wie sich diese Linien unter christlichem Einfluss verhärteten: Eine ambivalente Figur wie die Wassergöttin Mami Water, die lange Zeit mit Begriffen wie Gut oder Böse nicht zu fassen war, wird im christlich geprägten städtischen Ghana zur klassischen Nummer degradiert – Frau gleich Verführerin gleich böse. „Während Mami Water zum Schluss immer von einem ernsthaften ‚wiedergeborenen‘ Christen demaskiert wird, verwenden diese Filme viel Zeit darauf, genau die Dinge, von denen gute Christen sich eigentlich fern halten sollten, zu visualisieren.“
Diese Filme sind der Anlass für „Africa Screams“. Die Videoindustrie der westafrikanischen Staaten Ghana und Nigeria hat einen ganz eigenen Kosmos des Erlebens und Erkennens geschaffen. Die schnell hergestellten Filme spielen in der Stadt – dort, wo ihr Publikum zu Hause ist. „Africa Screams“ zeigt die Videofilme als das wahre afrikanische Kino. Aus leeren Kinos werden volle Videosäle.
Der nigerianische Filmwissenschaftler Onookome Okome ortet die Angst als vorherrschendes Gefühl der Stadt und den Videofilm als deren direktesten Ausdruck. In einer Realität, in der Militärs und Mächtige keinerlei Ausweg anbieten für die arme Bevölkerung und das Leben vieler entbehrlich erscheint, müsse das Okkulte über westliche Werte siegen, die kein Versprechen auf Zukunft in sich bergen. „Die Bewohner der Stadt, die am Rande der liberalen Ökonomie der exkolonialen Metropole leben, sind gefangen im Netz einer Lokalität im raschen Wandel und einer erdrückenden globalisierten Welt. In solch einem Kontext werden die Überreste traditioneller Kulturen neu interpretiert, wobei das herauskommt, was Jean und John Comaroff als ‚Riss in der Logik der Moderne‘ bezeichnen.“ Okome bezieht sich auch auf jenen Konflikt zwischen Land und Stadt, der tiefer ist als nur der Widerspruch zwischen Landwirtschaft und Dienstleistung. Die Städte fressen rasant die ausgeklügelten Sozialsysteme der traditionellen Gemeinschaften und stürzen die Individuen in zahllose materielle, psychologische und religiöse Konflikte.
Abgeschlagene Köpfe aber, meuchelnde Untote und fliegende Hexen sind daher in Nigeria kein Grusel für gelangweilte Studenten, die sich im Kino auf Pizzeria und Disco vorbereiten; „geopferte Menschen verwandeln sich in ein Meer voller Banknoten“, schreibt Tobias Wendl. „Auffällig bleibt dabei die ökonomische Fixierung, beinah könnte man von einer ‚ökonomischen Moral‘ sprechen, denn es gibt keinen Schrecken um des Schreckens willen“, treibt er den Vergleich zu klassischem Splatterkino weiter. „Nicht dass die Szenen weniger gewalttätig oder grausam wären, doch sie bleiben stets ökonomisch motiviert: Die Zerstörung des menschlichen Körpers dient fast immer der Bereicherung!“ Diese Erkenntnis hätte die Missionare vermutlich erschreckt. Aber sie steht für die zeitgenössische Wahrnehmung: Eine Gesellschaft, die mit dem Reichtum der eigenen kleinen Eliten und der des Westens konfrontiert wird, ohne die Aussicht auf Zugang dazu zu haben, sucht sich drastische Bilder.
Tobias Wendl (Hg.): „Africa Screams – Die Wiederkehr des Bösen in Kino, Kunst und Kult“, Peter Hammer Verlag Wuppertal, 288 Seiten, 32 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen