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Archiv-Artikel

Raus in die Wildnis!

UMWELTERZIEHUNG Viele Jugendliche haben keinen Bezug mehr zur Natur. Das „Bambi-Syndrom“ ist die Folge: Verniedlichung und Erlebnisfeindlichkeit dominieren. Da sind neue Wege der Pädagogik gefragt

Wegweiser

Naturschule Freiburg e. V.: Telefon (07 61) 2 44 08, Fax: (07 61) 2 02 02 89, E-Mail: info@naturschule-freiburg.de, www.naturschule-freiburg.de Die berufsbegleitenden Weiterbildungen „Naturpädagogik“ und „Kindergarten im Wald“ finden bundesweit an verschiedenen Orten mehrmals im Jahr statt.

■ Pestalozzi-Fröbel-Haus: Karl-Schrader-Straße 7-8, 10781 Berlin, Telefon (0 30) 2 17 30-0, www.pfh-berlin.de.

■ Viele praktische Tipps sowie umweltpädagogische Anregungen für Erzieher und Lehrer liefert das Buch von Jiri Kandeler: „Kinder lernen Umwelt schützen. Ein Handbuch für Umweltpädagogik in Kindergarten und Grundschule.“ Verlag Natur & Umwelt, Berlin 2005, 222 Seiten, Preis: 16,80 €

VON OLE SCHULZ

Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) schlug im vorigen Jahr Alarm: „Wir müssen die junge Generation wieder für die Natur begeistern, und zwar aktiv und draußen. Schließlich schützt man nur das, was man kennt und liebt“, erklärte DBU-Generalsekretär Fritz Brickwedde. Grund für Brickweddes Aufruf war die sich verändernde Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen. Ein Großteil von ihnen verbringt täglich mehrere Stunden in digitalen Fantasiewelten, vorm Fernseher oder dem heimischen PC, und nur wenig Zeit an frischer Waldluft. Laut dem „Jugendreport Natur 2006“ hat nur jeder dritte Schüler zwischen 12 und 15 Jahren jemals in seinem Leben einen Käfer oder Schmetterling auf der Hand gehabt. Tendenz fallend.

Damit Kinder, die heute aufwachsen, den Bezug zu ihrer natürlichen Umwelt nicht ganz verlieren, sind Pädagogen und Lehrer gefragt. Die in den 80er-Jahren noch häufig propagierte Katastrophen- und Bedrohungspädagogik der Umwelterziehung erreicht die heutige Jugend jedenfalls kaum mehr, zu diffus und verklärend ist ihr Bild von der Natur. Der „Jugendreport Natur“ spricht in diesem Zusammenhang vom „Bambi-Syndrom“, von der Verniedlichung der Natur: Jugendliche sehen den Wald als verletzliches, schutzbedürftiges Symbol schlechthin und haben eine erlebnisfeindliche Naturmoral. Jeder Zweite gehe davon aus, dass im Wald grundsätzlich keine Blumen oder Beeren gepflückt werden dürften. 80 Prozent glaubten, es sei verboten, Käfer, Regenwürmer oder Frösche in die Hand zu nehmen.

Erzieher, die Kindern trotz dieser Befunde an den vielfältigen Erlebnisraum Natur heranführen möchten, haben die Möglichkeit sich fortzubilden – zum Beispiel bei der Naturschule Freiburg. Hier werden mit „Naturpädagogik“ und „Kindergarten im Wald“ zwei berufsbegleitende Weiterbildungen angeboten. Matthias Wörne, Geschäftsführer der Naturschule Freiburg, sagt, es gehe darum, „Menschen zur Bildungsarbeit mit Gruppen in der Natur zu befähigen“. Entscheidende Grundlage für den Lernprozess sei dabei „das eigene Tun und Erleben, das durch gemeinsames Reflektieren vertieft und ergänzt“ werde. Man erlerne Methoden und Zugangsweisen, „um die unmittelbare Begegnung und das Erleben von Natur zu fördern“.

Die Weiterbildungen verfügen zwar über keine staatlich anerkannten Abschlüsse, aber eine Evaluation der Pädagogischen Hochschule Freiburg hat ihnen zumindest hohe Qualität bescheinigt.

Im Pestalozzi-Fröbel-Haus (PFH) spielt das Thema Umweltbildung in der Erzieherausbildung schon lange eine wichtige Rolle – in der Fachschule für Sozialpädagogik als Pflichtfach im dritten Jahr. Wolfgang Dohrmann, der seit Jahren an der Modelleinrichtung des Landes Berlin unterrichtet, spricht von einer „Erziehung zur Nachhaltigkeit“. Das sei zwar ein sperriger Begriff, vermittle aber besser als das Wort Umweltbildung, dass es angesichts der Globalisierung nicht nur um ein lokales Umweltbewusstsein gehe, sondern „auch um weltweite soziale Zusammenhänge, dass unsere Ernährungsgewohnheiten zum Beispiel mitverantwortlich sind für das Elend in der Welt“.

Nur jeder dritte Schüler zwischen 12 und 15 Jahren hat je einen Käfer oder Schmetterling auf der Hand gehabt

Dieses „globale Lernen“ setzt Dohrmann um, indem er einerseits ganz praktisch arbeitet – „Wasseruntersuchungen, einen Kompost anlegen, Gemüse anbauen und zubereiten, einen Dynamo basteln“ – und andererseits das entsprechende Hintergrundwissen vermittelt. Bei der Erzieherausbildung im PFH werde vor allem „auf die Persönlichkeit des Einzelnen eingegangen“, was nach Dohrmanns Auffassung in der Lehrerausbildung noch zu kurz komme. Dabei sollten Erzieher wie Lehrer eine solche individuelle Förderung später auch den Kindern zukommen lassen.

Auch Matthias Wörne von der Naturschule Freiburg sieht vor allem die Schulen in der Pflicht: „Die Schule muss offener werden, auch nichtschulische Bildungsorte in den Unterricht mit einzubeziehen. Dafür braucht es Zeit und Raum, und das passt nicht in 45-Minuten-Schablonen. Klar kann man ein ‚Stück Natur‘ auch ins Klassenzimmer mitnehmen, aber so wird das Ganze nicht erfahrbar.“

Dabei hätten gerade Kinder im Grundschulalter ein natürliches Interesse an der Natur, sagt Wolfgang Dohrmann. „Man läuft offene Türen ein, wenn man mit den Kindern in den Wald geht, Tiere beobachtet oder auch Beispiele für den schonenden Umgang mit Energie ausprobiert.“ Schwieriger sei es mit Heranwachsenden in der Pubertät, da gelte es schnell als „uncool, sich Limonade selbst zu mixen oder sein Pausenbrot in Papier einzupacken“. Hier seien Methoden der Abenteuerpädagogik gefragt – ganz gleich, ob man eine Kanufahrt mache oder im Winter auf einer Wiese im Zelt übernachte. „Es geht um praktisches Handeln: rausgehen in die Natur und sie selbst erleben.“