: Eine Pille für den Job
LEISTUNGSGESELLSCHAFT Gesunde Arbeitnehmer steigern mit allerlei Wachmachern und Wundermitteln ihre Leistungsfähigkeit, um im Beruf zu bestehen. Laut einer Studie ist jeder Fünfte bereit, sein Gehirn zu dopen
REGINA SCHULZ, DAK HAMBURG
VON JOSEPH VARSCHEN
Rund zwei Millionen Arbeitnehmer haben einer Umfrage des Forschungsinstituts Forsa zufolge bereits Erfahrungen mit so genannten leistungssteigernden Präparaten gemacht. Im Gegensatz zu den USA ist das Thema Doping am Arbeitsplatz in Deutschland noch weitestgehend unerforscht.
Dabei handelt es sich bei den Wachmachern und Wundermittelchen doch um ein brisantes Problem. Laut eines Gesundheitsreports der DAK haben etwa fünf Prozent der Befragten Erfahrungen mit leistungssteigernden Mitteln gemacht. Männer nehmen demnach vor allem aufputschende Mittel ein. Frauen bevorzugen dagegen Stimmungsaufheller. Rund 800.000 Arbeitnehmer nehmen demzufolge regelmäßig Pillen ein, um ihren Job zu sichern oder sich einen Vorteil im Arbeitsalltag zu verschaffen.
Die Gründe für das Doping am Arbeitsplatz müssen nicht lange gesucht werden: Die moderne Arbeitswelt ist geprägt von wachsenden Anforderungen, Termindruck und Existenzangst. Die Arbeitnehmer der so genannten Leistungsgesellschaft schlafen durchschnittlich eine Stunde weniger in der Woche als noch vor 100 Jahren. Die langfristigen Auswirkungen auf den Menschen sind bisher noch nicht erforscht.
Am Beispiel Hamburg jedoch wird deutlich, wohin der Leistungsdruck führen kann. In der Hansestadt steigt der Anteil psychischer Krankheiten überproportional im Vergleich zu anderen Erkrankungen. Die Zahl der psychisch bedingten Fehltage ist in Hamburg rund 21 Prozent höher als der Bundesdurchschnitt.
Einen Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Medikamentenmissbrauch wurde bisher noch nicht belegt, werde momentan aber untersucht, sagt DAK-Sprecher Gerd Reinartz. Der Druck, besser zu sein als der Kollege, den Job zu sichern und die gestellten Anforderungen zu erfüllen – Immer häufiger werde da nicht mehr nur zu Zigaretten und Kaffee gegriffen, sondern verstärkt zu Medikamenten.
Deren Nebenwirkungen sind den Medizinern sehr wohl bekannt. „Auf lange Sicht bergen diese Mittel erhebliche Gesundheitsrisiken und auch Suchtpotenzial“, warnt Karin Kramer vom Forschungsinstitut Iges. Vor allem Ritalin, das eigentlich Kindern mit Aufmerksamkeitsstörungen verschrieben wird, sei besonders beliebt. Allerdings ist das auch als „kiddy speed“ bezeichnete Medikament wegen des hohen Suchtpotenzials verschreibungspflichtig.
Mehr als verdoppelt haben sich laut DAK die Rezepte für den Wirkstoff Modaphinil, das eigentlich bei Narkolepsie-Patienten zum Einsatz kommt. Der Wirkstoff erhöht die Daueraufmerksamkeit ohne dabei den Nachtschlaf zu beeinflussen. Manager greifen besonders häufig zu Modaphinil. Aber auch Studenten, die nachts lernen müssen, schrecken vor dem Medikament mittlerweile nicht mehr zurück. Die gesundheitlichen Folgen dieses Missbrauchs sind bisher noch nicht bekannt.
Der Chefarzt der psychiatrischen Abteilung am Asklepios-Klinikum Hamburg-Harburg, Hans-Peter Unger, sorgt sich nicht nur um die gesundheitlichen Konsequenzen. Er befürchtet zudem ein Wettrüsten um das leistungsfähigste Gehirn. Das könne die Gesellschaft in verschiedene Fronten spalten, sagt er. „Medikamente sind teuer. Dopen kann deshalb nur die Elite, wodurch die Schere zwischen Arm und Reich sich weiter öffnet.“ Die Arbeitgeber müssten etwas dagegen tun, dass Leistung nur noch durch die Einahme von Aufputschmittel erfüllt werden könne.
Die DAK-Studie schlussfolgert, dass leistungssteigerndes Doping am Arbeitsplatz ein ernstzunehmendes, aber noch nicht weit verbreitetes Problem sei. Dennoch werde die Kasse in Zukunft gezielt auf die Gefahren hinweisen. Das eigentliche Problem dabei sei jedoch die fließende Grenze zwischen Aufklärung und Werbung. „Angesichts der gesundheitlichen Risiken sind diese angeblichen Wundermittel keine Alternative zum Abbau psychischer Belastungen am Arbeitsplatz“, sagt die Landesgeschäftsführerin der DAK in Hamburg, Regina Schulz.
„In jedem Fall müsse eine erste grundsätzliche Diskussion zum Thema Gehirndoping in Deutschland geführt werden“, fordert Psychiatrie-Chef Hans-Peter Unger. Für ein fundiertes Urteil müssten weitere Untersuchungen der regionalen Ausbreitung und vor allem zu den gesundheitlichen Konsequenzen durchgeführt werden.