: Ein Klassiker wird wiederentdeckt
LEHMBAU Er reguliert Feuchtigkeit, bindet Gerüche und dämpft Schall: Immer mehr Menschen entdecken die Vorzüge des Lehms. Umweltverträglich ist der Baustoff, der zu den ältesten der Menschheit zählt, ohnehin
VON MARLENE WEISS
Wenn der Architekt Eike Roswag von seinem Lieblingsmaterial erzählt, gerät er schnell ins Schwärmen. „Es nimmt Feuchtigkeit auf und gibt sie wieder ab, und im Sommer gibt es einen Kühleffekt. Ich würde heute kein Haus mehr ohne Lehmputz bauen wollen.“ Lehm – ein Wundermaterial? Zumindest einer der ältesten Baustoffe überhaupt. Und einer der populärsten: Ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in Häusern aus Lehm.
Auch hierzulande hat Lehm eine lange Tradition im Fachwerkbau. Aber mit dem Aufkommen von billigen und schnell verbaubaren Materialien wie Gips und Zement wurde Lehm fast vollständig verdrängt. Erst in den achtziger Jahren erlebte Lehm im Zuge der Ökobewegung wieder eine Aufwertung.
Das hat vor allem damit zu tun, dass Lehm die Luftfeuchtigkeit reguliert. Selbst eine nur wenige Zentimeter dicke Schicht Lehmputz wirkt als Feuchtigkeitspuffer. Außerdem soll Lehm Gerüche und Schadstoffe binden, Schall dämpfen und die Raumtemperatur regulieren.
So hat Lehmputz in den letzten Jahren sein Müsli-Image verloren. „Natürlich sind wir im Herzen Fundis, aber nicht so sehr, dass immer alles braun sein muss“, stellt Roswag klar. Im Dezember wird der Berliner Neubau des Bundesministeriums für Verbraucherschutz abgeschlossen; verputzt wurde mit Lehm.
Beim Dachverband Lehm ist man zufrieden mit der Entwicklung. Genaue Zahlen lassen sich nicht nennen, aber mit dem Ökobau scheint sich auch der Baustoff Lehm kontinuierlich zu entwickeln – zumindest nach der wachsenden Mitgliederzahl des Dachverbands zu schließen. Trotzdem bleibt Lehm wie die meisten Naturmaterialien im Bau vorerst ein Nischenprodukt, der Marktanteil wird auf wenige Prozent geschätzt. Entsprechend teurer ist das Material. Obwohl es kaum einfacher herzustellen sein könnte. „Einfach abbauen, ein bisschen Stroh rein, und dann war‘s das schon – für die Handverarbeitung muss der Lehm noch nicht einmal getrocknet werden“, sagt Baubiologe Friedrich Kerker von der Hamburger Baufirma Mordhorst, die sich auf den Ökobau spezialisiert hat.
Allgemeine Einigkeit herrscht darüber, dass Lehm in seiner Umweltverträglichkeit kaum zu schlagen ist. Unter Gesundheitsaposteln ist das Material allerdings umstritten. Peter Bachmann vom Sentinel-Haus-Institut für gesundes Bauen und Wohnen warnt davor, Lehm zu unkritisch einzusetzen – schließlich sei Lehmputz pH-neutral und könne daher leicht schimmeln. Bachmann rät daher zu Kalkputzen. Bei einem pH-Wert von 12,7 wächst garantiert gar nichts mehr. „Aber Lehm ist traumhaft geeignet für die Sanierung von Fachwerkbauten“, räumt Bachmann ein, „und für die eine oder andere schöne Innenwand natürlich auch.“
Das Schimmelargument lässt Jobst Henze vom größten Lehmbaustoffhersteller Claytec nicht gelten. In der Bauphase müsse der Putz eben gut getrocknet werden, dann gebe es auch keine Probleme. Und außerdem: „Was bringt es, wenn der Kalkputz zwar nicht schimmelt, aber dafür wegen des schlechteren Raumklimas Bücher, Teppiche und Schuhe?“
Prinzipiell müsste man sich nicht einmal auf Lehmputz beschränken – aus Lehmziegeln oder Stampflehm lassen sich ganze Häuser bauen; nur für Fundament und Fassade muss auf wasserfeste Materialien zurückgegriffen werden. „Im Stampflehm liegt eine ungeheure Expressivität“, sagt Eike Roswag, „und wir hinterlassen vollständig recycelbare Häuser“. Tatsächlich hat Bauschutt heute einen nicht unerheblichen Anteil an der Müllproduktion. Aber vermutlich denken die wenigsten Bauherren schon an den Abriss. Und tragende Lehmwände bleiben sehr teuer.