: Die Basteltanten können mehr
KINDERKRIPPE Seit Wochen legen tausende KindererzieherInnen bundesweit die Arbeit nieder. Der Blick in eine Hamburger Krippe zeigt: zu Recht. Die Anforderungen an die BetreuerInnen steigen, die Zahl der zu betreuenden Kinder ebenso. Gewerkschaften fordern deshalb von den Arbeitgebern bessere Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne
Den Bedarf an ErzieherInnen in den Ländern Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) festgestellt.
■ Im Bereich der Krippen ist für jeweils fünf Kinder eine Vollzeitkraft erforderlich.
■ Im Kindergarten sollte sich eine Erziehungsperson um nicht mehr als neun Kinder kümmern müssen.
■ Demnach müsste der ErzieherInnenbedarf in den fünf Ländern von rund 51.000 auf knapp 64.000 steigen.
■ Stattdessen wird der Bestand bis 2015 auf rund 39.000 ErzieherInnen sinken.
VON UTA GENSICHEN
Im Büro von Kita-Leiter Torsten Lübcke steht ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto, das ihn täglich daran erinnert, wie sehr sich Erziehungsarbeit in den letzten hundert Jahren verändert hat. Darauf zu sehen sind fünf Nonnen. Auf ihren Schößen sitzen pausbäckige Kleinkinder. Alle Beteiligten schauen verkrampft in die Kamera, niemand lacht. Es muss um 1900 gewesen sein, als der Fotograf die Einrichtung des Müttervereins im Stadtteil Eimsbüttel ablichtete.
Das Haus leitete damals ein Pastor, die Schwestern lebten in der oberen Etage. 35 Kinder wurden betreut – das ist lange her. Heute krabbeln und laufen bis zu 75 Kinder im Alter zwischen acht Wochen und drei Jahren in der Krippe herum. Ihnen hinterher flitzen 14 Erzieherinnen.
An den seit Wochen andauernden, deutschlandweiten Kita-Streiks haben sich auch diese Erzieherinnen beteiligt. Die Gewerkschaften fordern für ihre Beschäftigten vor allem bessere Arbeitsbedingungen sowie eine angemessene Entlohnung. Denn schließlich leisteten ErzieherInnen elementare Arbeit und legten bei den Kindern die Grundlagen für späteres erfolgreiches Lernen, argumentieren Ver.di und die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Gingen in Schleswig-Holstein am vergangenen Dienstag wieder rund 800 ErzieherInnen und SozialpädagogInnen auf die Straße, ist es den Hamburger KollegInnen mittlerweile gerichtlich untersagt, zu streiken. Die Unzufriedenheit der Erzieherinnen in der Tornquiststraße ist aber weiterhin spürbar.
„Die Rahmenbedingungen in Hamburg sind schlechter als in anderen Bundesländern“, klagt Lübcke. Vor- und Nachbereitungszeiten etwa seien in der Arbeitszeit von Hamburger ErzieherInnen nicht enthalten. Und das, obwohl Gespräche mit den Eltern oder Vorbereitungen für Projekte aus dem Erzieheralltag nicht wegzudenken sind. In manchen Köpfen aber lebt das Bild von der Erzieherin als Basteltante weiter. Doch diese Vorstellung ist mindestens so alt wie das Schwarz-Weiß-Foto im Büro von Torsten Lübcke.
„Manchmal hat man gar nicht so viele Arme wie man möchte“, sagt die Erzieherin Daniela Saggau. Zusammen mit ihren Kolleginnen steht sie im Spielgarten der Krippe. Zeit für ein gemeinsames Schwätzchen ist allerdings selten. Ständig hängen sandverschmierte Kinder an ihrem Hosenbein, sitzen auf ihrem Schoß oder laufen schreiend um sie herum. Das muss man mögen. Daniela Saggau mag es. „Ich finde gerade dieses Alter toll und ich liebe es, zu kuscheln“, sagt sie.
Mit ihrer Kollegin Nadine Stamer betreut Saggau eine Gruppe von 13 Kindern im Alter zwischen zwei und dreieinhalb Jahren. Die wollen nicht nur auf dem Spielplatz bespaßt werden: Der Tag beginnt mit einem gemeinsamen Frühstück um halb neun. Jedes Kind darf sich Cornflakes und Milch selbständig in die Schüssel füllen. Das kann in dem Alter schon mal daneben gehen. Manchmal wird auch auf die Tischdecke gespuckt. Die Wischlappen liegen immer griffbereit.
Danach geht es hinaus zum Toben. Im Spielgarten wirbeln die Gruppen wild durcheinander. Da reicht es nicht, nur die Namen der eigenen Kinder zu kennen. Tränen müssen getrocknet, Sandkuchen geformt und Streithähne miteinander versöhnt werden. Und ganz nebenbei beobachten die Erzieherinnen das Verhalten einzelner Kinder. Hört das Kind richtig? Nimmt es seine Umgebung wahr? Jede Erzieherin hat eigene Beobachtungskinder. „Wir sind doch verantwortlich für ihre Entwicklung“, sagt Nadine Stamer. Stimmt etwas nicht, werden die Eltern zu einem Beratungsgespräch eingeladen.
Nach etwa zwei Stunden werden die Kinder für die Mittagszeit vorbereitet. Dazu müssen die Kleinen gruppenweise umgezogen und gewindelt sowie die Tische gedeckt werden. Beim Essen darf sich wieder jeder alleine auffüllen, wieder geht etwas daneben, wieder muss danach der Gruppenraum aufgeräumt werden. Eine kurze Verschnaufpause bietet der Mittagsschlaf – allerdings nur, wenn alle Kinder mitmachen. Wer keine Lust auf Schlaf hat, darf spielen. Ohne die Betreuung der Erzieherinnen geht das natürlich nicht. Zwölf Uhr ist es da gerade mal. Die letzten Kinder werden um 18 Uhr abgeholt.
Die Betreuerinnen Daniela Saggau und Nadine Stamer liegen mit ihren 13 Schützlingen über den EU-Mindeststandards für Krippen. Demzufolge sollte sich eine Vollzeitkraft um nicht mehr als vier Kinder kümmern. Natürlich würde Torsten Lübcke gerne mehr Personal einstellen. Dazu müsste er allerdings den Umsatz erhöhen, also mehr Krippenplätze anbieten. Das bedeute wiederum mehr Arbeit für seine Erzieherinnen. Er kenne einige Einrichtungen, die so viele Kinder wie möglich unterbringen, um davon zu profitieren. „Wo fängt es aber an, bloße Aufbewahrung zu werden?“, fragt sich Lübcke.
Schließlich müsste die ideale Erziehungsperson viel mehr tun, als nur aufzupassen und freundlich zu sein. „Sensibel muss man sein und körperlich belastbar.“ Niedrige Sitzmöbel und das ständige Heben der Kinder verursachen bei vielen Rückenschäden. Vor allem der ständige Lärm von schreienden Kindern mache ErzieherInnen zu schaffen. Die Kita-Streiks für einen besseren Gesundheitsschutz könnten deshalb andauern, kündigte Ver.di am Dienstag an – wenn nötig bis zum Ende der Sommerferien.
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