Klimawandel: Größtes Opfer als größter Täter

Spanien müsste eigentlich geschockt sein von den Ergebnissen einer regierungsamtlichen Studie. Obwohl aber kein anderes Land Europas derart von der Erderwärmung betroffen ist, sind die Iberer weit von ihren Kioto-Zielen entfernt

MADRID taz ■ Spanien steuert einer Umweltkatastrophe entgegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die 400 Wissenschaftler unter Leitung von Ökologieprofessor José Manuel Moreno erarbeiteten. Ergebnis: Die Erwärmung der Erdatmosphäre wird sich in Europa nirgends so stark auswirken wie auf der iberischen Halbinsel. In Auftrag gegeben hatte die Arbeit das spanische Umweltministerium.

„Der Klimawechsel findet nicht morgen statt, er begann bereits gestern“, erklärt Professor Moreno, der dem UN-Expertenteam zum Thema angehört. Während im letzten Jahrhundert die Durchschnittstemperatur weltweit um 0,6 Grad – in Europa um 0,95 Grad – gestiegen ist, verzeichnete Spanien mit 1,5 Grad das deutlichste Wachstum.

In den nächsten Jahrzehnten wird sich die Tendenz, nach der Spanien europäischer Spitzenreiter beim Klimawandel ist, fortsetzen. Die Durchschnittstemperaturen werden im letzten Drittel des 21. Jahrhunderts im Sommer sieben Grad höher sein als jetzt und im Winter vier Grad. Gegen Ende des Jahrhunderts – so die Untersuchung – steigen die Temperaturen pro Jahrzehnt so viel wie seit Beginn der Industrialisierung insgesamt.

Die von den Wissenschaftlern aufgezeigten Folgen sind erschreckend. Spanien wird seine letzten Gletscher in den Pyrenäen verlieren. Die Regenfälle werden um über 20 Prozent zurückgehen. Das Meer wird bis zu einem Meter ansteigen. Extreme Wettersituationen wie Stürme und Überschwemmungen werden immer häufiger.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen lassen nicht auf sich warten. Das Gesundheitswesen wird gegen neue Plagen wie Malaria oder Durchfallepidemien, die aus Afrika über die Meerenge von Gibraltar kommen, zu kämpfen haben. Die Sterblichkeitsrate wird als direkte Folge der Hitze steigen. Als Indiz dient der Rekordsommer 2003. Damals starben 6.000 Spanier mehr als in einem normalen Sommer. Die Landwirtschaft wird mit den hohen Temperaturen und dem zunehmenden Wassermangel zu kämpfen haben. Die feuchten Gebiete im Norden und an der Atlantikküste „werden mediterranes Klima bekommen“. Und die Mittelmeerregionen werden zunehmend trockener und versteppen. Sie werden schon bald dem ähneln, was heute auf der andere Seite des Mittelmeeres in Nordafrika anzutreffen ist. „Die Frequenz und die Intensität der Waldbrände wird zunehmen“, warnt das 800 Seiten starke Dokument.

Durch den steigenden Meeresspiegel wird auch ein zweiter wichtiger Wirtschaftsbereich Spaniens hart getroffen, der Tourismus. An großen Teilen der Küste werden die Sandstrände in den Fluten versinken. Naturschutzgebiete wie das Ebro-Delta oder der Vogelschutzpark Doñana in Südspanien wird das gleiche Schicksal ereilen. „Im schlimmsten Falle werden nach und nach touristische Einrichtungen geschlossen werden müssen“, heißt es in der Studie.

„Wir betreiben keine ökologische Panikmache“, meinte Umweltministerin Cristina Narbona, als sie den Bericht der Öffentlichkeit vorlegte. Sie will vielmehr „die Bürger zum Handeln bewegen“. In den letzten Monate setzte sich die sozialistische Politikerin Dutzende Male mit den Vertretern der Industrie zusammen, um die wichtigsten Sektoren – Elektrizitätsgewinnung, Chemie, Metall, Papier und Keramik – zu einer Senkung des Ausstoßes von Kohlendioxid (CO2) zu gewinnen. Denn Spanien ist Opfer und Täter zugleich. Heute produziert das Land auf der iberischen Halbinsel 45 Prozent mehr CO2 als 1990 – die größte Zuwachsrate europaweit. Gemäß dem Kioto-Protokoll – natürlich auch von Spanien unterzeichnet – dürften es aber bis 2012 nur 15 Prozent mehr sein.

Umweltministerin Narbona will dieses Ziel trotzdem noch erreichen. Zu denen, die sich über die finanziellen Auswirkungen beschweren, meint sie: „Es geht immer nur um die Kosten von Kioto. Was werden die Kosten dafür sein, wenn wir nicht handeln?“ REINER WANDLER