ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Wie ich Experte für Hundescheiße wurde

Es ist ein dreckiger Job, aber jemand muss ihn machen: BBC-Interviews geben

Ab und an arbeite ich als Experte. Das klingt nach Diplomfacharbeiter mit zwanzigjähriger Berufserfahrung, ist aber in Wirklichkeit ganz einfach. Zu einer Geschichte wurde ich einmal von einem Radiosender der britischen BBC interviewt. Am Ende des Gespräches wagte ich einen Scherz. Seitdem werde ich alle paar Wochen angerufen und erkläre per Telefoninterview als Experte eine deutsche Nachricht. Nicht die großen, wichtigen Nachrichten, sondern die kleinen, seltsamen. Wenn Großbritannien sich fragt, ob der deutsche Bundeskanzler seine Haare färbt, ob Kannibalismus ein neuer Trend in Deutschland ist oder ob der Wahlkampf der FDP ernst gemeint war, dann sagen sie in London: „Lass uns doch wieder den Jungen mit dem lustigen Akzent anrufen, der ist billig und schnell.“

Ostermontag war es wieder so weit:

– „In Deutschland sollen Hundehaufen per DNA-Test analysiert werden. Können Sie unseren Hörern etwas darüber erzählen?“, fragte die Anruferin.

Ich sagte nichts.

– „Die Story war schon im ‚Guardian‘“, füllte sie die Pause.

Währenddessen hatte ich die Nachrichtenagenturen per Computer nach dem Wort „Hundescheiße“ abgesucht und las: „Die Stadt Dresden will mit Hilfe von DNA-Tests gegen Hundehaufen vorgehen. Dies hat der Ortsbeirat Dresden-Altstadt mit großer Mehrheit beschlossen. In der Praxis soll es so aussehen, dass alle Hundehalter bei der vorgeschriebenen Anmeldung ihres Hundes zur Hundesteuer eine Speichelprobe ihres Hundes mitzubringen haben. (AP)“

Ein Interview zu DNA-Tests bei sächsischen Hundehaufen. Hm. Würde man jetzt vielleicht nicht direkt als Arbeitsprobe in eine Bewerbung legen. Andererseits: ein paar schnell verdiente Pfund. Versendet sich. Und hört hier ja sowieso keiner. Ich sagte zu.

In einer halben Stunde sollte ich live auf dem Sender sein. Mit Hundescheiße-DNA. Bin ich deshalb Journalist geworden? Ich fasste den Plan, das Gespräch schnell auf die aus rechtsstaatlicher Sicht gefährlich angewachsenen DNA-Datenbanken der Sicherheitsbehörden zu lenken oder wenigstens auf das geplante Verbot von Vaterschaftstest. Sogar eine Überleitung legte ich mir zurecht. Schon auf die erste Frage antworte ich:

– „The issue is far more serious than dog shit.“ – „Dog dirt“, unterbrach mich der Moderator.

– „Pardon?“, fragte ich

– „In Britain, we don’t call it dog shit, but dog dirt. So tell us please, what exactly is going on in Dresden?“

Zwei Minuten, dreißig Sekunden redete ich über Hundescheiße. Wirklich schnell verdientes Geld. Andererseits kann man natürlich auch gleich auf den Strich gehen. Anyway, wer nicht weiß, dass Hundescheiße auf Englisch Hundedreck heißt, wird in Zukunft wohl sowieso nicht mehr von der BBC angerufen. Dachte ich – bis es eine halbe Stunde später wieder klingelte.

– „Das war doch großartig. Nur so kurz. Könnten wir Sie vielleicht morgen früh noch einmal länger im Programm haben? Dann würde auch Peter Gibson von der Kampagne ‚Keep Britain Tidy‘ dabei sein. Und Hörer können auch anrufen.“

Sie ahnen schon. Ich habe wieder zugesagt. Um Reste von Selbstachtung zu bewahren, bildete ich mir ein, ich könnte die britischen Deutschlandklischees super subversiv unterlaufen. Indem ich zackig sage: „Jawoll! Dresden soll sauber bleiben. Jedenfalls das, was die Engländer davon übrig gelassen haben!“ oder „Die Kampagne für ein sauberes Deutschland war auch erfolgreich, Herr Gibson! Vor 60 Jahren schon.“ Habe ich mich dann natürlich nicht getraut zu sagen. Erstaunlich viele Hörer riefen bei der BBC an oder schrieben schnell E-Mails, um ihre Meinung im transnationalen Vergleich des demokratischen Umgangs mit Hundescheiße mitzuteilen. Noch erstaunlicher: Alle Briten scheinen der gleichen Meinung zu sein, nämlich, von Deutschland lernen heißt aufräumen lernen. In dem Glauben habe ich sie dann auch gelassen.

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