Aus Freude am Sparen

Spartanische Kleinwagen sind die Stars auf der Automesse Leipzig. Sie sind Geschöpfe der Globalisierung, Vehikel der Rezession und vor allem: billig

von CLEMENS NIEDENTHAL

„Ich beabsichtige, ein Automobil für die Menge zu bauen. Es wird groß genug sein, um die Familie mitzunehmen, aber klein genug, daß ein einzelner Mann es lenken und versorgen kann. Es wird aus den allerbesten Materialien gebaut, von den allerersten Arbeitskräften gefertigt und nach den einfachsten Methoden, die die moderne Technik zu ersinnen vermag, gebaut sein. Trotzdem wird der Preis so niedrig gehalten, daß jeder, der ein anständiges Gehalt verdient, sich ein Auto leisten kann, um mit seiner Familie den Segen der Erholung in Gottes freier Natur zu genießen.“ Henry Ford

In der Gegenwart der ökonomischen Krisen können es sich immer weniger Menschen leisten, mit dem automobilen Mainstream zu fahren. Der VW Golf, eben noch Metapher einer nivellierten Gesellschaft und Generationsmodell, verkauft sich nur noch schleppend. Und bei Opel in Bochum, Kaiserslautern und Rüsselsheim müssen deutsche – und nicht nur deutschstämmige – Mittelschichten um ihre Arbeitsplätze bangen, weil deutsche Mittelklassen allzu oft beim Händler verstauben. Nicht nur solche mit dem Blitz im Kühlergrill.

Mindestens 15.000 Euro für einen Wagen der Kompaktklasse sind eben viel Geld. Und ein Preis, der sich noch unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen aufgeschaukelt hatte. War doch das Auto einmal ein grundsätzliches, buchstäbliches Versprechen einer kapitalistischen Spielart, die in einer Detroiter Automobilfabrik zu ihrem Namen kam: Fordismus.

Für einen Neuwagen wurde sich krumm gelegt, weil er wunderbar zur Vergewisserung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen taugte, in denen die Käufer sich bewegten – oder bewegen wollten. Ich fahre, also bin ich … hier richtig. Früher jedenfalls, als der kollektive Traum von der sozialen Marktwirtschaft für jedermann noch greifbar war. Der aktuelle VW Golf aber steht, wie gesagt, ziemlich lange in den Schauräumen der Autohäuser. Und ohne Rabatt fährt er fast gar nicht mehr vom Hof. In der Golfklasse gewähren die Händler momentan im Schnitt 13 Prozent Nachlass – für einen Neuwagen wohlgemerkt, nicht für Vorführmodelle oder Tageszulassungen.

Ideale Wagen für die Talfahrt

Die automobilen Gefährten der Rezession sehen anders aus. Sie kosten – wie etwa der Dacia Logan – nur halb so viel. Die automobilen Gefährten der Rezession waren eigentlich für die aufstrebenden Lebensstile der Schwellenländer Südosteuropas oder Südamerikas konzipiert. Autos für den Aufschwung, die nun zentraleuropäische Talfahrten zu meistern haben.

Wie sehr sich der deutsche Automobilmarkt momentan in einem tief greifenden Strukturwandel befindet, wird gerade an seinen Rändern deutlich. An den reanimierten Luxusmarken wie Maybach oder Bugatti, die mit dem Klavierlack, den Cartier-Uhren und den 36 unterschiedlichen Ledersorten. Vor allem aber an den neuen Preisbrechern aus Korea, Osteuropa oder Südamerika. Auf den ersten Blick ganz vernünftige, billige Autos.

Renault macht den Anfang. Noch in diesem Frühjahr wird der von der rumänischen Konzerntochter Dacia produzierte Logan auch über das deutsche Händlernetz ausgeliefert werden. Kundenbestellungen nehmen die Renault-Partner schon jetzt entgegen. Und versichern, dass Dacia-Fahrer denselben Service wie jene der Stammmarke erhalten. „Kunden zweiter Klasse kann sich eh niemand mehr leisten“, versichert ein Berliner Händler, bei dem ein weithin sichtbares Dacia-Plakate das Schaufenster verdunkelt: Man verspricht sich einiges vom rumänischen Preisbrecher.

Preisbrecher ohne Firlefanz

Vier Türen, fünf Sitze, 75 PS und Abgasnorm Euro 4 für gerade einmal 7.500 Euro. Da ist selbst der kleine Renault Twingo gut 1.000 Euro teurer. Und ein gebrauchter Golf, für Volkswagen-Chef Bernd Pischetsriede angeblich noch immer das „vernünftigere Sparangebot“, bereits fünf Jahre alt.

Ganz so sicher ist sich Pischetsriede indes auch nicht mehr. Weswegen sein Konzern gleich an mehreren Ecken am Discount-Auto strickt: Die Muttermarke VW reüssiert noch in diesem Frühjahr mit dem Kleinstwagen Fox, der ein Novum in der Markengeschichte darstellt: Erstmals wird ein für Schwellenmärkte entwickeltes Auto auch in den zentraleuropäischen Premiummärkten eingeführt. Dieser Tage wird der brasilianische Fox, der den unter anderem in Wolfsburg produzierten Lupo ablösen wird, auf der Leipziger Automobilmesse vorgestellt. Sein Einstiegspreis soll bei unter 9.000 Euro liegen. Nachgereichte Modellvarianten mit schwächeren Aggregaten könnten noch einmal deutlich günstiger werden.

Auch die VW-Tochter Skoda, ohnehin für die preiswerteren Volkswagen gerühmt, werkelt an einem Sonderangebot. Ein viertüriger Kompaktwagen soll’s sein, gebaut in der Ukraine, für etwa 8.500 Euro. Sparen ließe sich bei den Sitzbezügen – kein Stoff, aus dem die Träume sind.

Eine Umkehr der Verhältnisse

Bisher rollte die automobile Geschichte immer umgekehrt: In südamerikanischen oder chinesischen VW-Werken liefen Fahrzeuge vom Band, an denen sich die Europäer längst satt gekauft hatten. So wurde ausgerechnet der VW Santana, ein erfolgloser Stufenheckableger des Passat aus den Achtzigerjahren, zum Gefährt des massenmobilisierten China.

Ausgerechnet ein gewisser Albert Speer Junior baut unweit von Schanghai eine ganze Autostadt, ein Volkswagen-Wunderland für chinesische Besserverdiener. Und die Statussymbole von Zhanjiang kommen immer häufiger aus einer Zuffenhausener Sportwagenfabrik.

Wenn die so genannte moderne Gesellschaft irgendwo nachhaltig zu sich selbst gefunden hat, dann im Automobil. Dort kam eine beschleunigte Zivilisation auf die Räder, manchmal auch darunter. Das Auto als gebautes Manifest individueller Bewegungsfreiheit ist der Motor des vergangenen Jahrhunderts gewesen. Und der automobile Blick die Matrix einer Epoche, in der die Bilder das Laufen lernten. Die Bilder auf der Mattscheibe, noch mehr aber die Bilder hinter den Autoscheiben. „Die Konsumtion des Raumes ist auch die Konsumtion von Zeichen und Botschaften“, schreibt der Philosoph Paul Virilio in seinem Essay „Fahren, Fahren, Fahren“.

Dem Pkw wurde spätestens mit der Warendemokratie der Nachkriegsmoderne die Rolle als selbstbewusst ausgestellte Ich-Maschine zuteil. Oder wie es Bazon Brock einmal gesagt hat: „Wahrscheinlich würden die Deutschen sich sogar in billigeren, langsameren und kleineren Autos fortbewegen. Als Statussymbol allerdings würden sie sie niemals akzeptieren“.

Automobilexperten, wie Professor Ferdinand Dudenhöfer, sind sich da nicht mehr so sicher: „Es gibt einen relevanten Teil der Gesellschaft, der solche ökonomischen Angebote nachfragt.“

Ökonomie statt Luxus

Die automobile Gesellschaft, wie wir sie in der Bundesrepublik über beinahe fünf Jahrzehnte kennen gelernt haben, war eine Gesellschaft der nivellierten Mittelschicht. Längst aber beginnen die Automobilkonzerne, sich auf Abschaffung dieser Mittelschicht einzustellen – und damit auf eine Gesellschaft, die irgendwann sogar auf ihren Golf verzichten wird. Und auf den Standort Deutschland sowieso.

Autos „made in germany“ werden dann nur noch in der Luxusklasse unterwegs sein und mit symbolischem Aufpreis auf ihren luxuriösen Produktionsstandort verweisen. Und weil die Strategen in Wolfsburg oder Rüsselsheim das auch wissen, sind die aktuellen Jobgarantien vernünftigerweise nur als Zwischenberichte zu lesen. Zwischenberichte an eine verunsicherte Gesellschaft – aus einer Branche, die gerade ihre Richtung ändert.

Ein Kollege von Henry Ford, André Citroën, begründete seinen Ruhm übrigens mit einem Billigauto, „mit dem der Bauer über Feldwege einen Korb Eier zum Markt fahren kann, ohne dass er seinen Hut absetzen muss oder die Eier kaputt gehen“.

Das Ergebnis war die Ente.