: Deutschrock für die Tauben
Peter Maffay lädt gehörlose Kinder aus Düsseldorf auf seine Finca in Mallorca ein. Sie spielen das Tabaluga-Musical in Kostümen nach, spezielle tiefe Töne können sie nachfühlen
aus DüsseldorfLUTZ DEBUS
Ein Foto von einem Mädchen. Die Neunjährige steht mit geschlossenen Augen am Strand von Mallorca. Die nackten Füße sind bedeckt vom flachen Wasser. Über ihrem Kopf hält sie ein Seidentuch, das im Wind flattert. Das Kind hört die Brandung nicht.
Dieses Foto ist nur eines von vielen, das die Kinder der Rheinische Schule für Gehörgeschädigte in Düsseldorf-Gerresheim voller Stolz zeigen. Von allen Mitbringseln haben sie in ihrem Klassenraum eine kleine Ausstellung gemacht. Der Seeigel stinkt noch durch die geschlossene Plastiktüte. Halbedelsteine glitzern. Muscheln liegen auf Sand. „Manche Kinder wollten ihren ganzen Koffer voller Steine packen!“, berichtet die Lehrerin Maria Nordhoff-Budde. Für viele der dreizehn Kinder war es der erste Urlaub am Meer.
Diese etwas außergewöhnliche einwöchige Klassenfahrt konnte nur mit Hilfe von Sponsoren durchgeführt werden. Hörgeräteakkustiker finanzierten Flüge, Verpflegung und einen Mietwagen. Für die Unterkunft sorgte jemand, den man nicht spontan mit Hörschäden in Verbindung bringen würde. Die Kinder wohnten auf der Finca von Peter Maffay.
Nur die wenigsten Kinder kannten vor dem Projekt den Deutschrocker. Gehörlose interessieren sich selten für Popmusik. Auch die Kindermusicals mit dem populären pubertären Drachen Tabaluga von Peter Maffay waren wenig bekannt. Um eine Annäherung zwischen Gastgeber und Gästen zu ermöglichen, aber auch, um weitere Sponsoren zu gewinnen, plante die Tanztherapeutin Monika ter Veer eine Performance der besonderen Art. Gehörlosen und schwerhörigen Kindern wurde das Stück „Ich fühl wie Du“ aus dem Musical „Tabaluga und Lilli“ in spezieller Tieftontechnik vorgespielt. Die in Weiß gekleideten Kinder tanzten in einem weißen Raum. Auf die Bühne wurde das Video der Orginalaufführung projiziert. So geleiteten Lichtstrahlen und Basstöne die Darstellenden durch das achtminütige Stück. Der Feuerspeiende und die Eisprinzessin stellten fest, dass sie trotz oder auch gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit zueinander gehören.
„Gehörgeschädigte werden in besonderem Maße diskriminiert.“ Der Mitorganisator und HNO-Arzt Hans Michael Strahl will mit solchen Aktionen erreichen, dass das Gerät hinter der Ohrmuschel nicht mehr als Stigma wahrgenommen wird. Eine Brille gelte mittlerweile als modisch, ein Hörgerät immer noch als Zeichen für Dummheit. Deshalb hieß auch das Motto der Aktion „Ich fühl wie Du“. Strahl hatte vor Jahren Maffay am Starnberger See kennen gelernt. Seitdem setzt sich das ungleiche Paar mit der Initiative „Take care of your ears“ für eine leisere Umgebung gerade für Jugendliche ein. Über diesen Umweg gelangte Strahl zu der Schule in Düsseldorf. „Unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen diejenigen, die von Geburt an schwere Hörbehinderungen haben.“
Nach Monaten der Vorbereitung war es dann endlich soweit. 13 Kinder und fünf Erwachsene standen im Düsseldorfer Flughafen am Check-In. Durch die Sicherheitstore durften manche Kinder nicht gehen. Ihre in den Kopf implantierten Hörhilfen hätten Schaden genommen. Auf Mallorca angekommen, staunten die Kinder. „Ich habe einen Delfin gestreichelt,“ berichtet ein schwerhöriger Junge begeister. Ein gehörloses Mädchen erzählt, dass einer der vielen Hunde von Peter Maffay sie gebissen habe. Bei der Übersetzung von der Gebärdensprache zum gesprochenen Wort ergänzt die Lehrerin, dass es eher ein zartes Kneifen war. Besonders beeindruckend für die Kinder seien die Ausflüge ans Meer gewesen. Manche Hörgeschädigten haben Probleme mit dem Gleichgewichtssinn. Da sei eine Kletterpartie durch die felsigen Küstenabschnitte ein echtes Abenteuer gewesen. Abends nagte, so die begleitende Lehrerin Susanne Neuhaus, an manchem Grundschüler das Heimweh.
Am letzten Tag gab es dann ein gemeinsames Gespräch mit Peter Maffay. Ganz in Leder gekleidet sei er gewesen, sagt ein Mädchen sichtlich beeindruckt. Ganz natürlich sei er gewesen, berichtet Susanne Neuhaus, auch sichtlich beeindruckt. Ein Junge ergänzt: „Klein ist er. Und kleine Augen hat er.“
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