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Der Frust des Personals

PFLEGENOTSTAND Das Gesundheitswesen gilt als Wachstumsbranche. Doch die steigenden Beschäftigungszahlen verdecken, dass Pflegekräfte in Teilzeitarbeit flüchten – weil sie unzufrieden sind

Zwischen 1999 und 2009 hat die Teilzeitbeschäftigung bei den Altenpflegerinnen und -pflegern um 161 Prozent zugenommen

VON NIELS HOLSTEN

2030 werden fast eine Million Fachkräfte in der Gesundheitsversorgung fehlen. Das hat das Beratungsunternehmen Pricewaterhouse-Coopers (PWC) in einer Studie aus dem Jahre 2010 errechnet – und den „Kollaps des Gesundheitswesens“ prognostiziert, sollte dieses Problem nicht gelöst werden.

Als die Bundesregierung Anfang 2011 das „Jahr der Pflege“ ausrief, war Andreas Westerfellhaus noch ganz optimistisch, dass es endlich vorangeht. Westerfellhaus ist der Präsident des „Deutschen Pflegerats e. V.“ und vertritt damit gut 1,2 Millionen Menschen in Pflegeberufen. Nun, ein Jahr später, ist er vor allem frustriert: „Es reicht – ab jetzt zählen nur noch Taten und Ergebnisse“, rief Westerfellhaus Ende Januar seinen Zuhörern auf dem Pflegekongress in Berlin zu.

Mit dem „Jahr der Pflege“ wollte das Bundesgesundheitsministerium die Pflegeberufe attraktiver machen. „Vieles wurde angekündigt und versprochen und nichts geliefert“, sagt Westerfellhaus jetzt. So sei wieder einmal wertvolle Zeit nicht genutzt worden. Er sorge sich nicht nur um die Pflegenden, sondern vor allem um die Patienten, sagt der Pflegerats-Präsident. Denn die würden jeden Tag spüren, was es bedeutet, wenn „professionelle Pflege im Dauerlauf erledigt werden muss“.

Unterhält man sich mit den aktiven Pflegekräften, bekommt man dieses Bild bestätigt. Dierk Grebe, 50, arbeitet seit 24 Jahren in der Pflege. Bis zu vier Mal mehr Patienten als zu Beginn seines Berufslebens habe er zu versorgen, sagt er. „Unter diesem Zeitdruck kann ich nicht die Pflege machen, die richtig wäre.“ Eine adäquate Patientenversorgung sei nicht mehr möglich, sondern nur noch Schadensbegrenzung, so Grebe.

Auch ein 41-jähriger Krankenpfleger erzählt, dass nur noch die Dinge gemacht werden könnten, die „unbedingt überlebensnotwendig sind“. Als Folge des erhöhten Arbeitsdrucks hat er eine erhöhte Fluktuation unter den Pflegenden ausgemacht. „Viele wechseln, aber viele steigen auch ganz aus dem Beruf aus.“

Und viele reduzieren ihre Arbeitszeit, um der Überbelastung zu entgehen. Das zeigt eine Studie, die Michael Simon von der Fachhochschule Hannover im Auftrag des Deutschen Pflegerats erstellt hat. Demnach hat die Teilzeitbeschäftigung zwischen 1999 und 2009 bei den Altenpflegerinnen und -pflegern um 161 Prozent zugenommen. Bei den Altenpflegehelferinnen und -helfern gar um 211 Prozent. 2009 arbeiteten bereits 50 Prozent aller Beschäftigten in der Pflege in Teilzeit.

Für Gesundheitswissenschaftler Simon sind diese Zahlen Grund genug, den viel beschworenen Jobmotor Pflege anzuzweifeln, geht doch der überwiegende Teil des Beschäftigungszuwachses in diesen Berufen auf den Zuwachs der Teilzeitarbeit zurück. Simon sieht bei den Pflegekräften ein „erhebliches Arbeitszeitpotenzial, das gegenwärtig nicht genutzt wird“. Wolle man hier etwas ändern, müsse der Blick stärker auf die Arbeitsbedingungen gerichtet werden. Das sei auch wichtig, um junge Menschen für den Beruf zu gewinnen.

Für den Krankenpfleger beginnt das Problem schon bei der Qualität der Ausbildung, die dringend verbessert werden müsse. Der Krankenpfleger, der derzeit neben seiner Arbeit „Advanced Nursing Practice“ an der neu gegründeten „Medical School Hamburg“ studiert, plädiert für eine duale Hochschulausbildung. Allerdings fehlten dafür in Deutschland bisher die rechtlichen Rahmenbedingungen, sagt er Krankenpfleger. In Irland dagegen, wo er länger arbeitete, übernähmen studierte Pflegekräfte viele Aufgaben, die in Deutschland nur von Ärzten erledigt werden dürften.

Schwierig an seinem Beruf seien die mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten, sagt der Krankenpfleger. Weiterbildung würde nicht honoriert, weder durch mehr Befugnisse, noch durch bessere Bezahlung: „Das frustriert“. Dabei würde sich dadurch die Pflege verbessern, gleichzeitig die Berufszufriedenheit steigen, und auch den Ärztemangel könne man so ausgleichen.

Im Gegenzug, so der Krankenpfleger, sollten die Pflegenden von diversen Nebentätigkeiten entlastet werden: „Um Essen zu verteilen oder Betten zu richten, braucht man keine dreijährige Ausbildung“, sagt der 41-jährige Krankenpfleger“.

Das sich so wenig an den Zuständen ändere, liegt seiner Ansicht nach aber auch an den Pflegenden selbst. Sie seien eine der am schlechtesten organisierten Berufsgruppen und hätten im Gegensatz zu den Ärzten immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn sie streiken würden.

Pflegerats-Chef Westerfellhaus weiß das. „Die solidarische Gemeinschaft von 1,2 Millionen Pflegenden stellt ein enormes Machtpotenzial dar“, sagt er. „Sie kann und muss laut werden.“

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