Das Denkmal soll kein Schlusspunkt sein

Vor hunderten Gästen und fast der gesamten Staatsspitze wurde das Holocaust-Mahnmal in Berlin feierlich eröffnet

Es war wie fast immer beim „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, das gestern feierlich eröffnet wurde. Eigentlich war schon alles zuvor gesagt, geschrieben, gezeigt worden – und doch wurden alle am Ende noch einmal überrascht. Wie so häufig in den vergangenen 17 Jahren seiner Entstehung. Überrascht von Reden, die den Ton trafen und stets mahnten, dass die Erinnerung an das Verbrechen bleiben muss, auch wenn bald alle Zeitzeugen verstummen.

Und diese Überraschung hatte vor allem mit einer dieser Zeitzeugen zu tun, der Holocaust-Überlebenden Sabina van der Linden. Die zierliche ältere Dame wuchs auf in einem kleinen Ort in Polen und lebt heute in Sydney.

Als 11-Jährige erlebte sie ab Juli 1941 erste Pogrome, nachdem die Deutschen ihre Heimat besetzt hatten. Sie schilderte bei der Feier, wie unverständlich ihr damals die Morde, die Vergewaltigungen blieben und die vielen Beschränkungen, denen sie nun ausgesetzt war – bis zum Verbot, einen Hund zu haben. Sie erzählte, wie sie von ihrer Mutter getrennt wurde, die sie nie wiedersehen sollte. Wie sie eine Weile von einer nichtjüdischen Familie versteckt wurde. Wie sie schließlich im Wald überlebte, während ihr Vater und ihr Bruder in einem Arbeitslager erschossen wurden, weil sie zu fliehen versucht hatten. Und das wenige Tage vor der Befreiung ihrer Heimat im August 1944. Am Ende ihrer Rede erhielt Sabina van der Linden als einzige Rednerin stehende Ovationen von den hunderten Gästen der Eröffnungsfeier – darunter fast die gesamte Staatsspitze wie Bundespräsident Horst Köhler und Kanzler Gerhard Schröder.

Dahinter verblassten die Reden der anderen Feiergäste – obwohl auch sie meist bewegend und klug waren. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bedankte sich als Bauherr für die Vollendung „einer Aufgabe an der Grenze dessen, was einer sozialen Gemeinschaft möglich ist“: die Erinnerung an das größte Verbrechen ihrer Geschichte inmitten der eigenen Hauptstadt. Er mahnte, das Denkmal dürfe nicht, „der steinerne Schlusspunkt“ der Erinnerung werden. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, bemängelte zwar, dass das Denkmal zu wenig aufkläre über die Täter des Holocaust, lobte gleichwohl die beste Absicht und das „künstlerisch beeindruckende“ Denkmal.

Der Architekt Peter Eisenman räumte ein, dass das Denkmal anders geworden sei als ursprünglich geplant. Dennoch sei es durch die Debatten und Veränderungen besser geworden. Auch jetzt, am Schlusspunkt, solle die Debatte weitergehen. Zugleich erklärte er, dass ihm die Arbeit am Denkmal seine jüdische Religion wieder näher gebracht habe. Und: „Ein Teil meiner Seele wird ab heute hier in Berlin sein“, sagte der New Yorker.

Das Schlusswort gebührte Lea Rosh, der oftmals angefeindeten Vorstandsvorsitzenden der Bürgerinitiative, die das Mahnmal 1988 angeregt hatte. Sie bedankte sich bei allen, die auch in zweiter Reihe über 17 Jahre das Denkmal erkämpft hatten. Nicht zuletzt bei ihrem Mann Jakob Schulze-Rohr, der sie immer angehalten hatte, trotz aller Widerstände weiter zu machen. Sie zitierte ihn mit einem Satz, der vielleicht bleiben wird – auch nach der Eröffnung des Mahnmals: „Es lebt sich jetzt leichter in diesem Land.“ PHILIPP GESSLER