: Zwischen hier und dort
Die Ausstellung „Gottweißwo“ von Martin Assig in der St.-Matthäus-Kirche ist eine Ermutigung zur Zuversicht
Von Katrin Bettina Müller
„Warum essen, warum trinken“: Mit schwarzen Großbuchstaben steht das in einer roten Fläche auf einem Bild, das neben dem Altar in der St.-Matthäus-Kirche am Berliner Kulturforum hängt. Einfach zu beantworten, denkt man, weil man leben will. Vielleicht auch, weil es schmeckt, eilt ein alltäglicher Gedanke hinterher. Aber das Einfache hat es in sich. Es könnte doch auch die Frage eines Verzweifelten oder die eines Kranken sein, der nicht mehr leben will.
In der Nähe zum Altar aber geschieht noch etwas anderes mit diesem Bild von Martin Assig. Denn das ist der Ort des Abendmahls, bei dem Brot und Wein symbolische Bedeutung erlangen, um eine Verbindung in der Gemeinschaft der Gläubigen und zwischen ihnen und Jesus herzustellen. Und so erhält eines der Sakramente der Kirche unvorhergesehen ein neues Logo, das ein wenig auch mit kindlichem Schalk auffordert, über seinen Sinn nachzudenken.
Der Ort Kirche als Verstärker
Ein Kirchenraum verändert die Kunst, die in ihr ausgestellt ist. In St. Matthäus am Kulturforum, die von der Kunst- und Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz regelmäßig für Ausstellungen genutzt wird, ist das oft zu erfahren. Die Kirche als Ort kann zum Verstärker werden für die appellativen Merkmale der Kunst. Bei den Bildern von Martin Assig, die oft Schrift, Zeichnung und farbige Flächen in einem spannungsvollen Verhältnis nutzen, funktioniert das besonders gut.
Auf der Empore sind über 230 kleinteilige Arbeiten aus der Serie „St. Paul“ zu sehen, an der er seit mehr als zehn Jahren arbeitet. „ist man dort glücklich?“, „ist es dort ewig?“, „wie ist das Essen?“ und „ist es dort dunkel?“ steht zwischen Köpfen, die liegend und im Profil zu sehen sind. Das „dort“ und die Fragen danach sind eine wiederkehrende Position in dem Zyklus, das „hier“ eine andere. „weil ich hier bin“, die vier Wörter bilden einzelne Inseln in einem Strom rot-schwarzer Farbstrudel, in denen auch eine Spinne, ein Totenschädel und erhobene Hände treiben.
Die Bilder des Zyklus erinnern an Votivtafeln, die teils nach einem überstandenen Unglück die Rückkehr ins Leben feiern, oft aber noch mitten aus dem Schmerz zu kommen scheinen, der Ungewissheit, ob es überhaupt weitergehen wird. Martin Assig erzählt bei einem Gespräch in der Kirche mit Pfarrer Hannes Langbein, dem Kunstbeauftragten und Kurator in St. Matthäus, dass ihm viele Menschen, die „St. Paul“ in Ausstellungen gesehen haben, von sich und ihrem überstandenen Leiden erzählen wollen.
In der Reihe steht Dichtes neben Luftigem, Helles neben Dunklem. Elemente wiederholen sich, wie Köpfe und Körper, Geflechte, die an Wege oder auch Blutbahnen erinnern, innere und äußere Kartografien. In den Wiederholungen, aber auch im Leuchten der Farben zwischen den Abstürzen ins Dunkle liegt etwas von Beharrlichkeit, einer Lust an der visuellen Schönheit, einem Festhalten an den Möglichkeiten, das Spiel doch noch einmal neu zu gestalten.
Es geschieht nicht oft, dass die Betrachtung von Bildern einen so sehr mit ihrer Zuversicht berührt, ihrem Mut, trotz der dunklen Erfahrungen weiterzumachen.
Martin Assig: „Gottweißwo“, St.-Matthäus-Kirche im Berliner Kulturforum. Bis 5. Januar 2025
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