Erotikmesse Venus: Sex, Sales und Stigma
Die Venus, die lange als frauenfeindlich galt, zeigt sich zunehmend feministisch. Einige begrüßen den Wandel, andere zweifeln an der Glaubwürdigkeit.
„Es ist sehr divers: von Independent-Produktionen aus Berlin bis zu High-End-Productions aus den USA ist alles vertreten“, erzählt Pauline Schmiechen. Die Berlinerin betreibt die Webcam-Seite VoyeurHouse und ist Gründerin von Kotti Konsulting, einer Beratungsfirma für Marken und Creator in der Branche. „Früher lag der Fokus stärker auf Business-to-Consumer, jetzt wird zunehmend der Business-to-Business-Bereich ausgebaut“, erklärt Schmiechen. In der Business-Area können sich Branchenakteure austauschen, Panels widmen sich Themen, wie branchenspezifischen Herausforderungen.
Diese sind in der stark regulierten Pornoindustrie vielfältig. „Das gesellschaftliche Stigma erschwert unsere Arbeit immer noch sehr“, erzählt Schmiechen. Vor allem die strengen, oft undurchsichtigen Regularien der Social-Media-Plattformen sorgten für plötzliche Accountsperren, meist gleichbedeutend mit dem Verlust von mehreren Jahren Arbeit und Millionen Followern. Auch Werbung und Marken-Deals seien auf diesen Plattformen oft nicht ohne Weiteres möglich. Klassische Bezahlanbieter wie Paypal dürften nicht genutzt werden.
Neben der Business-Area gibt es zudem eine Kinky- und Show-Area sowie zum zweiten Mal einen Queerspace, der eine ganze Halle füllt. „Lange Zeit war die Venus extrem auf heteronormative Sexualität fokussiert“, sagt Schmiechen. In den letzten Jahren habe sie sich zunehmend breiter aufgestellt. Neben Branchenstars wie Erotik-Model und „Venus-Urgestein“ Micaela Schäfer sind nun auch kleinere, unbekannte Pornodarstellerinnen und alternative Segmente der Branche vertreten.
Kritik an der Venus
„Es ist ein Spagat, die größten Player der Industrie ranzuholen und gleichzeitig Raum zu schaffen für nischige, alternative Teile“, meint Paulita Pappel, Mitgründerin der Amateur-Pornoseite Lustery sowie der Pornoproduktionsfirma Hardwerk. Sie begrüßt die Bemühungen der Veranstalter*innen vielfältiger zu werden, betont aber, dass noch viel Arbeit vor ihnen liege.
Die Venus steht seit Jahren in der Kritik, ein Imagewechsel schien nahezu unumgänglich. Geschlechtsspezifische Diskriminierung werde verharmlost, Ausbeutung von Frauen und Missbrauch in der Branche ignoriert, lauteten einige der Kritikpunkte. Schließlich würden auf der Messe traditionelle Rollenbilder reproduziert: Frauen bieten an, Männer konsumieren.
Seit einigen Jahren tauchten in der Vermarktung dann Begriffe wie Diversität, Sex- und Porno-Positivity sowie „ethischer Porno“ auf. In diesem Jahr gibt es Panels, in denen Sexcoaches über gendergerechte Pornografie aufklären und sexpositive und feministische Impulse setzen. An anderen Ständen setzen sich Sexworker für ihre Rechte ein und informieren über ihre Arbeit.
Wachsende Sensibilität auf der Messe
„Es hat sich ein zunehmendes Bewusstsein für gendergerechte und vielfältige Pornografie entwickelt“, sagt die sexpositive Aktivistin Laura Méritt, die Berlins ältesten Sexshop Sexclusivitäten in Kreuzberg betreibt. Diese Entwicklung spiegele sich auch in der Werbung wider: „Bis 2022 bestanden die Plakate aus barbusigen weißen hell- und dunkelblonden Frauen, die sich räkeln und ihre Titten in die Gesichter der Passant*innen halten“, sagt Méritt. Seit letztem Jahr sähen die Poster aus wie eine Werbung für eine queere Sexparty.
Dass die Venus nicht mehr mit rassistischen und sexistischen Plakaten werben könne, sei toll und ein Erfolg der unermüdlichen Arbeit von jahrzehntelang kämpfenden Feminist*innen. „Aber wenn man sieht, wer dort ausstellt und sponsert, dann ist es die große Industrie, die mit ihren Massen an Billigproduktionen unsere Welt verschmutzt.“
Zu den Hauptsponsoren zählen die großen Pornoplattformen MyDirtyHobby, Stripchat und BongaCams. Vertreten sind die größten Player der Industrie, wie Pornhub oder Brazzers. All diese Unternehmen stehen häufig in der Kritik wegen verschiedener ethischer, sozialer und arbeitsrechtlicher Fragen. Méritt begrüßt an der Messe den Aspekt der Sex-Education, wertet das Marketing der Venus dennoch als „Sexpositiv-Washing und Queerwashing vom Feinsten“.
Frauen bieten an, Männer konsumieren
Vor Ort sei die Geschlechterverteilung zudem sehr unausgeglichen, kritisiert sie: Frauen präsentierten sich, während eine Traube von Männern sie umringe und fotografiere. „Es ist kein Problem, wenn sich eine Frau exponieren will, aber wenn Sexualität so kommerzialisiert wird, mehrheitlich von einem Geschlecht, dann kann man das hinterfragen.“ Das sei die Aufgabe von Feministinnen.
Kaum eine Frage spaltet Feministinnen so stark, wie die, ob Sexarbeit Empowerment oder Ausbeutung ist. Paulita Pappel meint: „Wenn diese Besucher*innen diesen Porn mögen, darf man sie dafür nicht verurteilen.“ Dass Männer Frauen beim Masturbieren fotografieren, sieht sie gelassen. Auf der Berlinale würden Männer auch Scharen um Frauen bilden und fotografieren. „Man kann die Venus kritisieren, aber die vermeintlich feministische Kritik ist sexistisch und ignorant“, sagt die Pornofilmproduzentin, -regisseurin und -darstellerin. „Die Venus ist der kommerziellste Part der Pornoindustrie. Es ist keine Hochkultur, es ist nicht die Oper, aber eine Games-Messe ist es auch nicht. So ist das in der Unterhaltungskultur.“
Pappel ist der Ansicht, dass Frauen in der Pornobranche abgewertet werden, nur weil ihre Arbeit mit Sexualität zu tun hat. Dahinter stecke ein veraltetes Konzept von Sexualmoral, das gesellschaftlich vorangetrieben werde von konservativen Kräften, die Angst vor sexueller Freiheit haben. „Die Kriminalisierung der Industrie bedient den schädlichen Diskurs aus der bildungsbürgerlichen, weißen Mitte der Gesellschaft, dass Pornos jugendgefährdend, immer frauenfeindlich, unethisch und ausbeuterisch seien“, argumentiert die 36-Jährige.
Auch die Unterscheidung zwischen sogenannten „Mainstream-Pornos“ und „ethischen Pornos“ bediene diesen Diskurs. Damit würden Pornos in gut und schlecht eingeteilt: kommerzieller Mainstream-Porno, produziert für ein heterosexuelles männliches Publikum, das ein problematisches Bild von Sexualität vermittelt, und als Gegenentwurf dazu ethischer, feministischer Porno.
„Ethischer Porno“ sei ein kapitalistisches Verkaufsargument
„Ich habe auch lange Zeit gesagt: Ich mache ethischen Porno“, erzählt Paulita Pappel. Ihre Plattform Lustery wird häufig als Gegenentwurf zum kommerziellen Porno wahrgenommen. Diese Kategorisierung sei eine Zeit lang hilfreich gewesen, um in der Branche wichtige Gespräche über #MeToo und ethische Produktionsmaßnahmen anzustoßen. Heute verstehe sie die Bezeichnung „ethischer Porno“ jedoch lediglich als kapitalistisches Verkaufsargument.
Das größte Problem der Industrie sieht sie in der gesellschaftlichen und politischen Diskriminierung und Stigmatisierung. „Natürlich gibt es auch problematisches Pornomaterial. Aber Pornos lassen sich nicht verallgemeinern, als Ausbeutung der Frau oder ‚Vergewaltigung‘“ – wie Alice Schwarzer es formulierte. Das sei „komplett absurd“. Illegale Inhalte hingegen müsse man beim Namen nennen: „Das sind Straftaten.“ Alles andere sei Teil der Unterhaltungsindustrie und sollte als Unterhaltungsprodukt wie andere Filme behandelt werden. „Wir sollten gesellschaftlich reif genug sein“, findet Pappel.
Diese Haltung scheint sich auf der Venus bereits widerzuspiegeln. Die Berliner Webcam-Betreiberin Pauline Schmiechen schätzt das: „Es ist schön, in einer Halle mit 20.000 Menschen zu stehen, in der sich niemand schämt oder die Branche stigmatisiert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!