: Ein Labor für Utopien
Ganz der Nachhaltigkeit gewidmet ist das Festival „Circle Zeit“ am Theater Osnabrück. Und ja: Mit dessen Bedarf an kommenden Publikumsgenerationen hat das auch zu tun
Von Harff-Peter Schönherr
Unfassbarkeit! Brachial entgegengerammt wird uns dieses Wort in „Hunger – Hänsel und Gretel in Krisenzeiten“. In der Performance des Hildesheimer Ensembles Edgarundallan geht es um Lebensmittel. Und, ja, es IST doch unfassbar, dass unsere Welt gleichzeitig die Verschwendung der einen kennt und das Darben der anderen. Hart mahnend, auch mal übersteigernd, kommentiert „Hunger“ die Maßlosigkeiten der Besitzenden. „Wollen wir hier wirklich eine Katastrophe nach der nächsten auf die Bühne bringen?“, fragen die DarstellerInnen der „Lecture“. Und ja, sie wollen.
Eine Katastrophe nach der nächsten: Ein Satz, der für das Anliegen des gesamten Projekts „Circle Zeit“ stehen könnte: Das Festival in Namen der Nachhaltigkeit kommt in dieser Woche am Theater Osnabrück auf die Bühne. „Wir brauchen Utopien“, sagt Dietz-Ulrich von Czettritz, Leitender Theatervermittler in Osnabrück, der taz. „Und es ist Aufgabe des Theaters, sie zu artikulieren, sie anzustoßen.“ Dass es dazu nicht nur Theatermittel einsetzen muss, zeigt „Circle Zeit“ in erstaunlicher Bandbreite: Weite Teile des Festivalprogramms sind Infotainment oder auch Vernetzungsarbeit.
Da gibt es auch Workshops zur Herstellung von Butter oder von Kleidung aus Zeitungspapier. Andere sind Objekten aus Pilzmaterial gewidmet oder der Farbgewinnung aus Blüten, Blättern und Wurzeln. Es werden Kleidertauschbörsen abgehalten und Initiativen vorgestellt, die zu Umweltthemen arbeiten. Die Klammer all dessen bildet: Regionalität.
Osnabrücker SchülerInnen sind beteiligt, Hochschulen, der Botanische Garten. Förderer ist die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, in der parallel die Ausstellung „Jetzt geht’s rund – Kreisläufe statt Abfälle“ läuft. Auch an das lokale Umweltfestival „Ökomaile“, alljährlich von Jugendlichen ausgerichtet, dockt „Circle Zeit“ an: Der Improtheater-Workshop „Klimagefühle“, im Mai dort zu erleben, findet nun im Theater statt.
„Vor Corona haben auf dem Platz vor unserem Theater die Treffen von Fridays for Future stattgefunden, Woche für Woche“, sagt von Czettritz. „Das hat uns inspiriert. Das Festival will Akteure und Expertise zusammenbringen. Es geht darum, sich gegenseitig zu sehen, zu empowern.“ Dass unter Hinweis auf die Nachhaltigkeit heute schon viel Greenwashing betrieben wird, schlicht Marketing sich so bemäntelt, ist ihm bewusst. „Circle Zeit“ soll aufklärerisch sein und dem so inflationär wie diffus verwendeten Schlagwort „Nachhaltigkeit“ mehr Konkretheit verleihen.
Das Multimedia-Kollektiv Armada aus Velbert tut das sehr nachdrücklich: In seiner Performance „Die Sache mit den Bäumen“ fräst es uns unbequeme Wahrheiten ins Bewusstsein, über unseren Raubbau am Ökosystem Wald, über die Dürrefolgen der Klimakrise. Die theatereigenen Amateur-Stadtensembles „Jugend“ und „Generationen“ fordern in „Tod eines Verbrauchers – Zwischen Glanz und Untergang“ einerseits dazu auf, bewusster zu konsumieren, andererseits machen sie in „You will find me in the garden“ die Natur selbst zum Theater.
Ein Kessel Buntes, so spielerisch wie ernst, so poetisch wie faktensatt – ein ideales Tool, um die Zielgruppe Nachwuchs ans Haus zu binden? Hauptanliegen sei das aber nicht, betont von Czettritz: „Wir haben ja ohnehin schon Dutzende Kooperationsschulen.“ Nein, das Festival biete „eine Plattform“, sei „Labor, um sich auszuprobieren“.
Dietz-Ulrich von Czettritz, Leitender Theatervermittler
Eines irritiert: Auch Unternehmen erhalten Raum. So darf sich etwa das Osnabrücker Mode-Start-up „Young Diversity“ präsentieren, da geht es immerhin um Öko-Materialien, fairen Handel und sozial gerechte Arbeit. Auch Vertreter der „Slow flower“-Bewegung zeigen sich: Schnittblumen-Betriebe thematisieren torffreie Anzuchterde, organischen Dünger, Regenwasser. Das passt ins Thema, ist aber von Werbung nicht weit entfernt.
Wer der Nachhaltigkeit das Wort redet, muss selbst nachhaltig handeln. Dass da ein Schrank steht, aus dem Besuchende sich Dinge mitnehmen können, die das Haus nicht mehr braucht, reicht nicht. „Schritt für Schritt stellen wir unsere Scheinwerfer auf LED um“, sagt Josha Buhl von der AG Nachhaltigkeit. „Wir fragen uns bei jeder Produktion: Mit welchen Materialien arbeiten wir?„Besonders mit der Wiederverwendung hat das Theater Erfahrung. Statt individuell geschweißter Kulissengerüste etwa komme „ein Bühnensystem zum Einsatz“, „das sich jeder neuen Inszenierung anpasst“.
Der ganzheitliche Aufbruch in die Nachhaltigkeit braucht allerdings noch Zeit: Das Theater Osnabrück wartet auf eine Grundsanierung, unter anderem energetisch. 80 Millionen Euro wird sie kosten, mindestens. Ob die je zusammenkommen? „Jetzt bei uns was reinzubauen, was wir danach dann wieder wegreißen müssen“, sagt Buhl, „lohnt sich natürlich nicht.“
Festival „Circle Zeit“. Eröffnung: Mo, 23. 9., 17 Uhr, · Theater am Domhof, Osnabrück; bis 27. 9.
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