Blinder Sprinter bei Paralympics: Rennen im richtigen Rhythmus

Der Para-Sprinter Marcel Böttger verpasst das Finale über 100 Meter. Das Laufen mit einem Guide ist für blinde Athleten eine komplexe Angelegenheit.

Drei Sprinter mit Guides im Wettkampf

Nicht schnell genug: Marcel Böttger und Guide Alexander Kosenkow (links) scheitern im Halbfinallauf Foto: Stephanie Lecocq/reuters

Sprinten ohne das Geringste sehen zu können, können nur wenige so gut wie Marcel Böttger. Bei der letzten Weltmeisterschaft belegte er den siebten Platz. Entsprechend groß waren seine Erwartungen beim Start des Halbfinallaufs. Das Finale über 100 Meter hatte er bei den Paralympics in Paris fest im Visier. Doch es fehlten ihm letztlich zwei Zehntel.

Der 31-jährige Deutsche ist schon zum zweiten Mal bei den Paralympics dabei. Er tritt in der Kategorie T11 an. Diese ist für Sportler, die ihr Augenlicht komplett verloren haben, oder fast nichts sehen können. Eine obligatorische lichtundurchlässige Brille sorgt für Chancengleichheit, weshalb auch alle auf einen Guide angewiesen sind. Böttger läuft mit Alexander Kosenkow, mit dem er über ein 30cm-langes Band verbunden ist. Bei den Spielen in Tokio 2021 riss dieses Band und Böttger wurde disqualifiziert.

11,18 Sekunden schnell hätte er dieses Mal in Paris sein müssen. Die Leistungsdichte bei den paralympischen Spielen nimmt zu. Die Bestzeit von Böttger beträgt 11,06 Sekunden. Das nahezu synchrone Laufen mit dem Partner ist eine komplexe Angelegenheit. Beim gemeinsamen Sprinten kommt es auf den Rhythmus an: „Wenn der Rhythmus nicht passt, funktioniert das ganze System nicht – dann kommt die Geschwindigkeit nicht zustande“, sagt Böttger. Der Guide sieht wie ein sprintender Schatten aus. Jeder Arm- und Beinschwung des Athleten und des Guides müssen aufeinander abgestimmt sein.

Wenn das nicht der Fall ist, funktioniert nichts, so Böttger. Diese Synchronität käme über Vertrauen. Er und sein Guide Kosenkow – der einst selbst an Olympia teilnahm – haben sich dieses Vertrauen über Jahre aufgebaut.

Krebserkrankung im Kindesalter

Über die Technik dieser Disziplin erzählt Böttger: „Man merkt, welchen Schritt Alex gehen kann und welchen Schritt ich gehen kann, daran passt man sich halt an.“ Es gibt also keiner der beiden einen Takt vor, sondern beide stimmen sich während des Rennens aufeinander ab.

Böttger und Kosenkow lernten sich in Böttgers erstem Verein in Wattenscheid kennen. Dort trainierte der Guide bis dahin mit Katrin Müller-Rottgart – die selbst dieses Jahr in der Kategorie T12 antritt. Sie gewann 2016 in Rio die Bronzemedaille über 100m. Müller-Rottgart und Kosenkow beendeten 2019 ihre Zusammenarbeit. Seit jeher sprintet Böttger mit Kosenkow.

Der gebürtige Kasseler verlor sein Augenlicht 2000 nach einer Krebserkrankung im Kindesalter zunächst nur auf auf dem rechten Auge. Sein linkes wurde durch die Therapie so stark beschädigt, dass er dort nur zwei Prozent Sehkraft hat. Bei den Paralympischen Spielen in Tokio trat Böttger noch in der Kategorie T12 an, die für Athleten mit etwas größerer Sehfähigkeit sind.

Erst vor sechs Jahren begann er mit dem Sprinten, als er nach einer Probestunde bei einem Leichtathletikverein gegen seine eigenen Erwartungen begeistert war. Nun ist der Sprint Teil seines Lebens. „Das Schöne für mich ist diese Freiheit, dieses nur Laufen, nix gucken, einfach nur Vollgas geradeaus.“

Für sein großes Ziel am Mittwoch in Paris hat es nicht gereicht. Vielleicht ist er noch einmal in vier Jahren bei den Paralympics in Los Angeles dabei.

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