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: „Man tut so, als würde hier niemand Macht haben“

Erste Sondierungen zum missbrauchsanfälligen Verhältnis von Kirche und Macht unternimmt am Wochenende eine Werkstatttagung in der evangelischen Akademie zu Loccum

Interview Marta Ahmedov

taz: Herr Brouwer, was verstehen Sie unter Macht?

Christian Brouwer: Das ist eine schwierige Frage, weil der Machtbegriff gerade in der Kirche total ambivalent ist. Im Kontext der Tagung verstehe ich Macht als bestimmten Gestaltungs- und Deutungsraum, der Menschen durch eine Position zukommt, die sie objektiv innehaben oder die ihnen zugeschrieben wird. Macht haben heißt: Dinge verändern können, Menschen beeinflussen, Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen.

taz: Das klingt eigentlich ziemlich eindeutig. Warum ist der Begriff ambivalent?

Brouwer: Weil Macht innerhalb der Kirche in erster Linie als Gottesmacht verstanden wird. Darüber reden wir gerne und viel, aber säkulare Macht unter Menschen wird nicht thematisiert. Man möchte die Kirche als einen machtfreien Raum verstehen, also tut man einfach so, als würde hier niemand Macht innehaben und setzt sich nicht damit ausein­ander.

taz: Ist das ein Problem?

Foto: privat

Christian Brouwer

Jahrgang 1979, promovierter Theologe, ist Studienleiter für Theologie und Ethik an der evangelischen Akademie Loccum.

Brouwer: Ja, und das ist der zentrale Anlass für diese Tagung: Wir vermuten, dass das Schweigen über Macht innerhalb der Kirche dazu führt, dass die trotzdem vorhandene Macht leichter missbraucht werden kann. Anfang des Jahres ist die Forum-Studie erschienen, die deutlich gezeigt hat, dass auch die evangelische Kirche ein großes Problem mit Machtmissbrauch und sexueller Gewalt hat.

taz: Welche Momente sind das, in denen Macht missbraucht wird?

Brouwer: Macht wird missbraucht, wenn sie bewusst verschleiert und manipulativ eingesetzt wird. Sie ist schon überall da ein Problem, wo nicht klar ist, dass es sie gibt. In der Kirche sind intime Kontexte wie die Seelsorge anfällig für Machtmissbrauch. Und besonders auch die Jugendarbeit, wo Macht mit einer Altersdifferenz einhergeht. Die Forum-Studie hat gezeigt, dass es am häufigsten zu Missbrauch von männlichen Pfarrpersonen gegenüber Jugendlichen kommt.

taz: Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat den Verdacht nahegelegt, dass gerade Tabus und Verbote zu Machtmissbrauch führen. Was ist da dran?

Werkstatt-Tagung „Transparente Macht in der Kirche – Erste Sondierungen zu einer dringlichen Aufgabe“, 30.–31. 8., Evangelische Akademie in Rehburg-Loccum

Brouwer: Zunächst möchte ich mahnen, dass man die katholische Kirche und die evangelische Kirche an dieser Stelle nicht in eine Opposition zueinander bringen sollte. Machtmissbrauch findet ganz klar auch in der evangelischen Kirche statt. Die Forum-Studie zeigt übrigens, dass die häufigsten Täter bei uns verheiratete Männer sind – es ändert also nichts, ob Männer im Zölibat leben oder verheiratet sind.

taz: Ob katholisch oder evangelisch: Die Kirche gilt nicht gerade als ein Raum, in dem besonders offen über Sexualität gesprochen wird. Ist das kein Problem?

Brouwer: Der Verdacht liegt natürlich nahe. Man muss ihm aber eine zweite Beobachtung aus der Forum-Studie zur Seite stellen: Es gibt in der Kirche auch Gemeinden, die sehr von der Bewegung der 68er-Jahre erfasst wurden und ein offenes Klima kultivierten, gerade auch in der Jugendarbeit. Diese Gemeinden waren und sind genauso anfällig für Machtmissbrauch, gerade in den 70er-Jahren sind dort schlimme Dinge passiert. Das soll nicht heißen, dass wir in der Kirche nicht viel offener über Sexualität reden müssen. Es ist aber auch zu leicht, es damit als getan zu betrachten.