das wird: „Diese halbe Minute habe ich noch“
Das „Death Café“ lädt ein, um über das Abschiednehmen im Alltag zu sprechen
Interview Robert Matthies
taz: Frau Arndt, verabschieden Sie sich jeden Tag bewusst mit einem Ritual von Ihren Liebsten?
Ute Arndt: Ja, wenn jemand mit dem Auto wegfährt, egal ob Besuch oder Partner oder jemand aus der Familie, gehen wir immer raus und winken. Derjenige, der fährt, muss winken, und wir winken auch. Manchmal ist man so in Hektik und denkt, das muss ich jetzt nicht machen. Aber dann: Das geht so nicht, diese halbe Minute habe ich jetzt auch noch. Und dann gehe ich wieder raus und wünsche ihm: Er soll gesund wiederkommen. Fahr vorsichtig, pass auf dich auf!
Warum ist es wichtig, dass man bewusst Abschied nimmt?
Manchmal hat man dieses magische Denken, dass etwas passieren könnte, weil man sich zuvor falsch verhalten hat; diese Befürchtung, mein Verhalten könnte ursächlich für etwas gewesen sein.
Da spielt also eine tief sitzende Angst eine Rolle, dass man sich vielleicht nie wieder sieht. Ist das tägliche Abschiednehmen eine Form der Vorab-Trauer?
Nein, man kann nicht täglich schon im Vorwege trauern. Wenn wir immer ein bisschen trauern, dann kämen wir zu gar nichts anderem mehr.
Sie sprachen das Kindliche an. Warum sind Kinder bei Abschieden oft so todtraurig? Erleben Kinder sie intensiver?
Ute Arndt
64, arbeitet als Trauerbegleiterin, Trauerrednerin und Sterbebegleiterin in Hamburg und Umgebung.
Genau, sie springen rein in die Trauer und sind ganz furchtbar entsetzt, weinen und können gar nicht beruhigt werden. Aber fünf Minuten später kommen sie wieder an und freuen sich darauf, beim Freund zu übernachten.
Sie erwähnen in Ihrer Einladung die Serie „Leaving and Waving“ der Fotografin Deanna Dikeman. Sie hat 27 Jahre lang fotografiert, wie sie sich von ihren Eltern nach einem Besuch bei ihnen verabschiedet. Weshalb gehen Ihnen diese Bilder ans Herz?
Wir sehen, wie wir uns verändern, wie wir altern. Und man sieht, wie das Erleben einsamer wird. Die Mutter weiß zum Schluss, dass sie nicht mehr so viel Zukunft hat. Sie hat eine ganz zurückgenommene Ausstrahlung.
Auf mich wirkt es, als klingt da in diesem Abschied schon das endgültige Abschiednehmen an. Es wirkt immer getragener und bedeutsamer.
Ja, wie sie so alleine dasteht und wie das Winken der alternden Hand, des Arms dokumentiert, dass Zeit vergangen ist. Diese Veränderungen im Leben in dieser Reihung gespiegelt zu bekommen, ist ergreifend.
Virtuelles Café „Death Café“ : heute, 19 bis 21 Uhr, online auf Zoom. Passwort und Link nach Anmeldung per Mail an info@netzwerk-trauerkultur.de; Infos: www.netzwerk-trauerkultur.de
Viele haben Angst davor, sich mit dem Sterben, dem Tod und der Trauer zu beschäftigen oder finden es unangenehm. Sie bieten mit den „Death Cafés“ der Urnengestalterin Ina Hattebier seit 2016 regelmäßig eine Möglichkeit, darüber spontan und ohne Bedingungen zu sprechen. Warum lohnt sich das und was erwartet einen dort?
Die Menschen sind immer froh, dass es einen Raum gibt, indem sie darüber sprechen dürfen, ohne komisch angeguckt oder gleich in die Ecke gestellt zu werden: Bist du jetzt depressiv? Eigentlich sind diese Themen – Sterben, der Abschied, wie bewältigen wir das in unserem Leben? – ja auch philosophische Fragen. Für die, die sie tatsächlich stellen und davon erzählen und den anderen zuhören, hat das etwas ganz Lebendiges und Intensives. Sie kommen, weil sie das Gefühl haben: Ja, da ist ein Raum, in dem man sich wohlfühlen darf, auch mit Themen, die Angst machen.
Man darf also auch mal lachen?
Natürlich. Oder man kann auch mal sagen, dass die Mutter zu viel trauert – oder gar nicht. So was macht man zu Hause ja nicht.
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