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die richtlinie des tagesWider das Ausbrennen

Wann wohl die ersten Prognosen aus Italien kommen würden, war eine der Fragen, die die diensthabenden Re­dak­teu­r:in­nen am Tag der Wahl zum EU-Parlament umgetrieben hat. Spät, sehr spät, lautete die Antwort. Und natürlich ist die zuständige Redakteurin dann noch im Dienst. So wie sie am Vormittag schon im Dienst war und so wie sie am Vormittag des Folgetags im Dienst sein würde. Klar, wirklich gesund kann das nicht sein.

Das Bewusstsein dafür, wie gefährlich andauernder Stress am Arbeitsplatz sein kann, ist über die Jahre kontinuierlich gestiegen. Die „Rahmenrichtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit“ jedenfalls konnte das nicht verhindern. Die gilt schon seit 1989. Da nannte sich das, was sich später als Europäische Union verfasst hat, noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

Gemäß der Richtlinie sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, Risiken zu bewerten, diese den Mitarbeitenden mitzuteilen und sich über Präventionsmaßnahmen Gedanken zu machen. So mancher Qigong-Kurs, der in einem Unternehmen zur Entspannung der Angestellten angeboten wird, mag auf diese gute, alte Richtlinie zurückgehen. Die gilt in Zeiten, in denen Ar­beit­neh­me­r:in­nen über ihre mobilen Endgeräte eigentlich immer zu erreichen sind, als überholt.

Schon 2021 hat das EU-Parlament die Kommission deshalb aufgefordert, eine neue Richtlinie auf den Weg zu bringen. Darin soll das Recht darauf verankert werden, nicht rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen. „Wir können Millionen von Arbeitnehmern in Europa nicht im Stich lassen, die durch den Druck ständiger Erreichbarkeit und durch übermäßig lange Arbeitszeiten erschöpft sind. Jetzt ist es an der Zeit, ihnen zur Seite zu stehen und ihnen zu geben, was sie verdienen: das Recht, nicht erreichbar zu sein“, wird dazu Alex Agius Salbida von der maltesischen Partit Laburista zitiert, der Berichterstatter des EU-Parlaments für dieses Thema.

Am Ende soll es darum gehen, die in der EU festgesetzte Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in der Woche durchzusetzen. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hat dazu eine Untersuchung vorgestellt, nach der Angestellte, die regelmäßig von zu Hause aus arbeiten, diesen Grenzwert häufig überschreiten.

Europa lesen. Dieser Textist Teil der Berichterstattung zu den EU-Wahlen 2024.

Wie meinte doch eine Kollegin neulich am Ende eines langen Arbeitstages beim Verlassen des Büros? „Ich mach den Rest dann von zu Hause aus fertig.“

Andreas Rüttenauer

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