Ausgehen und rumstehen von Marielle Kreienborg: Frittieren wie Sophia Loren in „Das Gold von Neapel“
Kein Wochenende ohne Pizza: Seit vor zehn Jahren die erste neapolitanische Pizzeria Standard das Niveau von Pizzen in Berlin auf einen neuen Standard gehoben hat, sprießen Pizzerien wie Pilze aus Boden. Doch obwohl die Variationen des einst armen Gerichtes im Spätkapitalismus nahezu unbegrenzt sind, ist es weiterhin schwierig, eine Pizzabäckerin am Ofen oder beim Teigausrollen zu sehen.
„Woran liegt das?“, frage ich die einzige Pizzabäckerin in der Stadt, die ich ausfindig machen kann: Tina ist pizzaiola bei Futura-Pizza im Friedrichshainer Bänschkiez. Auch sie kennt in Berlin nur eine weitere Pizzabäckerin: „Meine Mitbewohnerin. Wir haben zusammen beim Franchise der L’antica Pizzeria da Michele (Julia Roberts isst in „Eat Pray Love“ dort ihre Pizza) in Berlin gearbeitet.“ Eigentlich würden die beiden Pizzabäckerinnen gern ihre eigene Pizzeria eröffnen, „aber das ist schwer, ohne Eigenkapital, mit sprachlichen und bürokratischen Barrieren“. Die Antwort auf meine Frage sieht Tina mehr in Vorurteilen als in physischen Vorteilen: „Als ich mich für den Ausbildungskurs angemeldet habe, haben sie mich gefragt, ob ich für meinen Mann anrufe.“ Männer trauten Frauen das Spiel mit dem Feuer ebenso wie die körperlichen Anstrengungen der Arbeit nicht zu: „Für Frauen ist die kleinere, frittierte Version der Pizza, die Pizza fritta, gedacht. Die können sie daheim frittieren und verkaufen, wie Sophia Loren in „Das Gold von Neapel“, während sie gleichzeitig die Kinder hüten.“
Für Tina war es ein Erweckungserlebnis, als kleines Mädchen eine Pizzabäckerin zu sehen: „Von da an wollte ich nur noch in diese Pizzeria, weil ich ihr dort zuschauen konnte.“ Später arbeitete sie sich selbst vom Kellnern zum Frittieren zur Teigherstellung für glutenfreie Pizza zur Pizzabäckerin vor: „Ich habe immer wieder gefragt: ‚Bitte, lasst mich auch mal probieren, meine eigene Pizza zu machen.‘“ Die Kollegen ließen sie gewähren, doch sie habe auch Chefs gehabt, „die sich bei der Teigherstellung eingeschlossen haben.“ Ein Pizzabäcker gebe sein Handwerk, ebenso wie sein Lokal, traditionell an seinen Sohn weiter: „Frauen, so die Legende, können keine Pizza machen, weil sie ihre Tage bekommen und die Blutung das Aufgehen des Teigs verhindert. Sogar meine Oma hat mir das gesagt: ‚Fass die Pflanzen nicht an, wenn du deine Tage hast. Die sterben sonst.‘“
Um Entmythisierung ging es schon am Donnerstagabend in der literaturensohn Buchhandlung auf der Lesung zu Edith Löhles Debütroman „Bible Bad Ass“ über unsichtbare weibliche Figuren in der Bibel. „Der Jungfrauenkult zum Beispiel“, sagte Coco Meurer, Inhaberin der Buchhandlung, im Gespräch mit der Autorin, „ich finde das echt krass, dass das ja eigentlich’ne ‚junge Frau‘ war.“ In der hebräischen Bibel sei nämlich von einer „jungen Frau“ die Rede gewesen. Die griechische Übersetzung hätte aus ihr dann eine Jungfrau gemacht. Ich fühlte mich unwissend wie heterosexuelle Brautpaare, die sich zu „Ruth 1,16 f.“ trauen lassen, ohne zu wissen, dass dieser Treueschwur von einer Frau (Ruth) an eine Frau (Naomi) gerichtet war. Apropos Frau: Wie Maria Magdalena, die es mit ihrem „Evangelium nach Maria“ (zu sehen im Ägyptischen Museum) nicht in den Bibel-Kanon geschafft hat, blitzte auch Edith Löhle mit ihrem Manuskript bei vielen Verlegern ab: „Aber gerne mal auf einen Wein“, zitierte Löhle eine Absage. Auch den Arschloch-Chef, der die Menstruation „Erdbeerwoche“ nennt, hätte sie sich nicht ausdenken müssen, berichtete sie: „An einer Stelle hebt er so pseudolässig das Bein, um der Protagonistin sein whole package zu zeigen. Und da rief mich dann eine Kollegin an und meinte: ‚Ich weiß genau, wer er ist und er macht’s immer noch!‘“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen