: „Auf dem Sterbebett zum Trend geworden“
SINNSUCHE Kirchen und Klöster als „Kontrastprogramm zur Krise“. Zumindest ihre Position im Konkurrenzkampf um touristische Aufmerksamkeit ist gar nicht so schlecht
VON CHRISTEL BURGHOFF
Sechs Millionen Besucher jährlich zählt der Kölner Dom, aber „nur“ vier Millionen der Europapark Rust. Alle vorschnellen Annahmen, dass Spaßkultur, touristische Spektakel und lärmende Vergnügungen das beschauliche Sightseeing längst abgelöst hätten, erweisen sich bei näherem Hinsehen als nicht haltbar. Der Kulturfaktor im Tourismus ist resistent. Man besichtigt gern Kirchen und Klöster. Und warum? Einfach deshalb, weil sie da sind. Sie sind „ubiquitär“, sagt der Paderborner Tourismuswissenschaftler Albrecht Steinecke. Und meint damit, dass allein, dass sie da sind, ein entscheidender Erfolgsfaktor sei. Und die Kirchen und Klöster – ansonsten gesellschaftlich ins Hintertreffen geraten – öffnen sich gerne der touristischen Nutzung. Das zeigte sich jüngst auf einer Tagung der Thomas-Morus-Akademie (Bensberg), die die „Faszination Kloster“ zum Thema hatte. Nicht nur ihren Glaubensbrüdern und -schwestern bieten die Klöster vielfältige Teilhabe am spirituellen Lebensgefühl. Auch ganz normale Touristen lassen sie daran schnuppern. Sie schnüren Kurspakete zur Lebens- und Religionspraxis, andere bieten das „Kloster auf Zeit“. Wieder andere setzen auf körperlich-seelische Wellness in luxuriös hergerichteten Klosterhotels. Pilgerwege und Urlauberseelsorge haben sich längst als Angebote herumgesprochen.
Natürlich sind so manche Sakralbauten auch einfach spektakulär. Der Kölner Dom, Deutschlands bedeutendste touristische Attraktion, ist ein Meisterwerk gotischer Baukunst und gehört seit 1996 zum Weltkulturerbe der Unesco. Er ist praktisch ein Muss für jeden Kulturinteressierten auf Deutschlandtrip. „Die Besucher von Kirchen“, sagt Professor Steinecke, „erinnern sich bei Befragungen immer an ein nicht näher bestimmbares Gesamterlebnis.“ Sie spürten eine besondere Atmosphäre. Auch Nicht-Gläubige fühlten sich vom Raumerleben, von der Architektur und den kostbaren Einrichtungen irgendwie berührt. Alte Kirchen und Klöster bieten etwas „Unverwechselbares“, etwas, das sich, so Steinecke, „nicht einfach reproduzieren lässt“. Aber es lässt sich verstärken. Selbst die Kölner Domverwaltung hat die Zeichen der Zeit erkannt und signalisiert allen, die mehr wollen, eine größere Gesprächsbereitschaft. Man hat Tische eingerichtet, an denen Ansprechpartner für Glaubens- und Lebensfragen Besucher beraten und gern einen Wiedereintritt in die Kirche ermöglichen. Auch die Öffnungszeiten des Domes wurden verlängert.
Landauf, landab wird dem Gesamterlebnis Kirche fleißig zugearbeitet. Europas kulturelles Erbe wird ständig saniert, restauriert, modernisiert. Ordensgemeinschaften kehren zurück in historische Gemäuer. So hat Sachsen-Anhalt den spirituellen Tourismus als touristisches Zugpferd entdeckt. Man richtet sich ein auf einen Trend zu Kirchen und Klöstern, von dem kirchliche Kreise seit einigen Jahren in schöner Regelmäßigkeit berichten, dass es ihn gibt. Nicht, dass die Mitgliedszahlen der beiden großen Amtskirchen ansteigen – die gehen seit Jahrzehnten stetig zurück. Vor allem sind es die Klöster, ob evangelisch oder katholisch, die sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Sie sind „auf dem Sterbebett zum Trend geworden“, meint der Kölner Marktforscher Christoph Melchers. Die wundersame Auferstehung einer scheinbar untergegangenen Lebensweise verdanke sich einer gesellschaftlich weitverbreiteten Sinnsuche.
Und dafür bieten die Kirchen ihren Traditionsbestand. Wem könnte man besser vertrauen, wem leichter glauben? Wo heutzutage Formeln begehrt sind, die den Alltag steuern und zum Lebensglück führen, wo eine Praxis gesucht wird, die die Seele läutert und die Gefühle klärt, wirken Kirchen und Klöster so vertrauenswürdig und beständig wie die tausendjährigen Mauern, die einen Sinnsucher umgeben, wenn er in die Parallelwelt der Glaubensgemeinschaften tritt.
„Es gibt sie noch, die guten alten Dinge“, zitiert Albrecht Steinecke den vertrauten Manufactum-Slogan, der wie kein anderer den Anspruch an „Güte“ in eingängige Worte gefasst hat. Die Authentizität der Kirchen und Klöster ist die eine Sache, aber dass sie von Gläubigen auch genutzt werden, gelebt werden, das mache ihre Besonderheit aus.
Als „Kontrastprogramm zur Krise“ (Christoph Melchers) stehen Kirchen und Klöster im Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit der Menschen gar nicht schlecht da. Wo die Welt sich schneller verändert, als vielen Menschen lieb ist, da suche man, so meint Christoph Melchers, in den Kirchen und Klöstern den „vertrauten Rest“.
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