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Reisen im Sitzen und Stehen

Das Trio The Necks begeisterte im Heimathafen Neukölln mit vermeintlich statischem Jazz

Von Tim Caspar Boehme

Für ihre Musik haben sich die verschiedensten Namen eingebürgert: Von Ambient Jazz ist die Rede, auch gibt es Leute, die „Dark Jazz“ zu dem sagen, was das Trio The Necks an seinen Instrumenten hervorbringt. Letzteres ist Quatsch, bei Ersterem könnte man sagen, dass es ganz davon abhängt, welchen Begriff von Ambient man so hat. Und welche Phase der Band man meint. Was es am Dienstag im bestens gefüllten Heimathafen Neukölln zu hören gab, waren jedenfalls keine gleichförmig wattig schwebenden Wolken, sondern bewegte sich mit ziemlich unterschiedlichen Luftströmungen.

The Necks kommen ursprünglich aus Australien, der Pianist Chris Abrahams und der Schlagzeuger Tony Buck wohnen inzwischen in Berlin. Ebenso wie der Bassist Lloyd Swanton sind alle Musiker noch an zahlreichen anderen Projekten beteiligt. Gegründet 1987 in Sydney, erschienen in den vergangenen 35 Jahren über 20 Alben von ihnen, angefangen mit „Sex“ von 1989. Eine knappe Stunde ruhig und unaufhörlich pulsierender Groove über einem gleichbleibenden Grundton, dezent variiert. Am Dienstag spielte man hingegen zwei Sets, je ein Stück, beide Male sehr still beginnend, doch die Dynamik war am Dienstag eine recht andere.

Live hat das Spiel von The Necks eine Energie, die, wie aus dem Nichts gekommen, immer stärker, doch fast unbemerkt den Raum elektrisiert. Chris Abrahams begann diesmal mit einer leise suchenden Melodie, ein Hauch von Blues, erst nur mit der rechten Hand, irgendwann leise Basstöne dazu mit der linken, während Tony Buck sacht mit einem Bündel Holzkuhglocken klöterte. Nach und nach kamen die Trommeln hinzu, auch Swanton ließ sich Zeit, bevor er den ersten Ton auf seinem Kontrabass strich.

Sobald diese dreiköpfige Einheit sich in Bewegung setzt, verliert man das Zeitgefühl. Hat es jetzt 10 oder 15 Minuten gedauert, bis Abrahams zu den ersten Akkorden übergegangen ist? Wie lange hat er schließlich seine rasend schnellen Figuren gespielt, zu denen irgendwann ebenso rasche Basstöne kamen, mit denen sie zu einem eigenen Obertongebilde verschmolzen? Und wie hält es Tony Buck aus, ohne Unterbrechung mit dem Jazzbesen über seine Snaredrum zu wischen, ohne dass sein Handgelenk den Dienst quittiert?

Im ersten Teil des Konzerts folgte die Dynamik einem klassisch linearen Aufbau von Steigerung, Höhepunkt, im Sinne eines Plateaus wohlgemerkt, nicht eines punktartigen Ausbruchs, und langsamem Abstieg bis zum Verklingen. Im zweiten Teil war die Dynamik ähnlich, bloß mit weniger Extremen. Überhaupt bestimmen die Nuancen das Ergebnis. Im ersten Teil erzeugte Buck mehr an Trommeln und Perkussion ein polyrhythmisches Geflecht, in der zweiten Hälfte des Konzerts konzentrierte er sich über weite Strecken auf das Zischen der Becken. Swanton hielt im ersten Set lange einen konstanten Ton, in Teil zwei wählte er anfangs eine langsam absteigende Figur.

Aus ihrem Anfangsmaterial entwickeln The Necks dann alles Übrige. Das erinnert in seinem Prozesshaften an Minimal Music, man kommt ihnen aber vermutlich näher, wenn man ihre Vorgehensweise reduktionistisch nennt. In Berlin waren sie 2018 zum letzten Mal davor aufgetreten, das Publikum im Heimathafen war dankbar, dass es mit dem Warten ein Ende hatte. Anderthalb Stunden reiste man mit den Musikern, wie diese entweder im Sitzen oder im Stehen. Alle kamen dabei mutmaßlich recht weit. Ihr nächstes Konzert in der Stadt kündigte Lloyd Swanton für November an.

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