Hier bleiben und sich einmischen – nur wo?

Es gibt sie, die jungen Leute, die Verantwortung übernehmen wollen. Am Wochenende trafen sie sich auf dem „Festival für junge Politik“ in Berlin. Sehr schnell war aber auch klar: Viele Jugendliche kommen hauptsächlich wegen der Bands. Und viele sind politisch unberührt. Um sie geht es

VON WALTRAUD SCHWAB

Zwischen den hessischen Dörfern Laubuseschbach und Wolfenhausen liegt ein Berg. „Kein richtiger Berg, so eine Erhebung“, erklärt Jonas. Der 13-Jährige gehört zum Jugendbeirat in seinem Dorf. Auf dem T-Shirt, das er trägt, prangt das Motto seiner Gruppe: JUZ – Jung, Unberechenbar, Zügellos. Eine ihrer drängendsten Forderungen: Dass endlich ein Fahrradweg die beiden Dörfer verbinde. Die Jugendlichen wollen mobil sein. Zügellos. Allein, die politische Willensbildung ist schwerfällig. „Nicht umsonst hat der liebe Gott einen Berg zwischen die Dörfer gestellt, wenn er gewollt hätte, dass es dazwischen einen Fahrradweg gibt.“ Mit derart von göttlichem Beistand bereicherten Argumenten fordern die, die wollen, dass alles beim Alten bleibt, die Jugendlichen heraus. Aber Jonas, Tatjana und die anderen Teenies vom Jugendbeirat, die zum Festival für junge Politik nach Berlin gekommen sind, machen nicht den Eindruck, als ließen sie sich die Butter vom Brot nehmen: Sie haben von einer ansässigen Firma ein Teilstück für den Fahrradweg geschenkt bekommen. Sie veranstalten Diskos und steuern den Erlös für den Bau bei. Außerdem haben sie jede Menge anderer Pläne, wie das Dorf jugendfreundlicher werden kann.

Es gibt sie, die „Generation Schröder“, die jungen Leute, die sich einmischen, die merken, dass sie Verantwortung übernehmen können für die Gemeinschaft. Dass es sie gibt, trägt zum Glücksgefühl bei, das sich auf dem Festival für junge Politik in Berlin breit macht. Egal, wer gefragt wird, alle finden das Event „super“. Nicht krass, nicht cool, sondern „super“. Als brauchte selbst die Sprache eine oberste Stufe auf der Siegertreppe.

Das Festival ist eine Volksuni für Jugendliche. Ein längst fälliges Projekt. Initiiert wurde es vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem deutschen Bundesjugendring. An diesen Partnern liegt es, dass hier so viel geboten wird. Fast für umsonst.

In direkter Ansprache wird den Jugendlichen erklärt, um was es geht. „Politik ist nicht nur, was ihr im Fernsehen seht: Politik ist auch, ob im Park eine Halfpipe gebaut wird, ob ihr einen Jugendraum bekommt oder ob ihr euch weiter an der Bushaltestelle treffen müsst. Politik entscheidet, was mit der Umwelt geschieht oder ob euer Schwimmbad auch nächsten Sommer noch offen ist.“ Auf den Alltag der Jugendlichen bezogen, ist der Einstieg ins politische Denken. Rasant wird das Spektrum danach erweitert.

Auf nahezu 300 Veranstaltungen, Workshops, Podien und Aktionen, werden sämtliche zukunftsrelevanten Themen behandelt: Bildung, Ausbildung und Arbeit, Antirassismus und Neofaschismus, Migration und Integration, Menschenrechte und Globalisierung, Demokratie und Europa, Medien und Manipulation. Auch Streetdance, Graffiti, Netzwelt und sonstige kulturelle Ausdrucksformen der Jugendlichen sind im Angebot. „Bisschen viel auf einmal“ stöhnt der blonde Schwarzwälder, der sich bisher nur in einem Verein für mittelalterliche Spiele einbrachte. Er ist einer von 8.000 Gästen. „Überwältigend“, sagen die beiden Schwestern aus Dessau, die eigentlich nach Antworten zur Geschlechteridentität suchen.

Zu unüberschaubar ist das Angebot für all die, die sich nicht festlegen können auf ein Thema, die noch nichts ausprobiert haben. Werden sie gefragt, was junge Politik ist, antworten sie wie auswendig gelernt: „Das ist Politik, wo junge Leute sich einmischen.“ Werden sie gefragt, wo sie sich einmischen, meinen sie „Noch nirgends.“

„Bildung?“

„Für mich ist das zu spät, ich mach ja schon Abi.“

„Studiengebühren?“

„Na ja, die kommen , da kann man nichts machen.“

Die Fragen sind falsch gestellt, denn die Mehrzahl der Jugendlichen hat noch keine Machbarkeitsstudien für die Zukunft entwickelt. Besser ist, sie werden nach dem gefragt, was sie nicht wollen. „Nicht so viel Arm und Reich.“ „Kein Krieg.“ „Keine Angst haben müssen, wenn ich nachts durch den Park gehe.“ Ob sie zum Festival gekommen seien, um eine Antwort darauf zu finden, was sie tun können, damit es nicht so kommt. „Nein, wegen der Musik“, meinen viele. Denn das darf nicht verschwiegen werden: Die Bauernfänger heißen: Tocotronic, Max Herre, Die Fantastischen Vier. Die Bühne ist vor dem Kinder-, Jugend- und Familienzentrum FEZ, in dem die Veranstaltungen sind, aufgebaut. Alles, was sich draußen abspielt, ist umsonst, also auch die Konzerte. Nur wer zu den Podien und Workshops ins FEZ will, zahlt Eintritt.

Zwischen drinnen und draußen verläuft deshalb die Grenze. Während drinnen etwa statt Multi- und Leitkultur nun von den Jugendlichen Interkultur gefordert wird oder Globalisierung plötzlich als etwas verstanden wird, was jeden angeht, zieht die Musik draußen mehr politisch Unberührte an. „Aber vielleicht stolpern die über das eine oder andere Projekt, das sich in den Zelten hinter der Bühne zeigt“, meint Thomas Weber von der Bundeszentrale für politische Bildung. „Vielleicht werden sie in ein Gespräch hineingezogen.“ Im Grunde würden die jungen Leute Lösungen für Probleme finden müssen, an denen die Politik heute scheitere.

Also auf zu den Zelten. Da stößt der politisch noch unberührte Jugendliche etwa auf die „sozialistische Jugend“, die Falken, die sich vor ihrem Zelt um die Wasserpfeife versammeln. Easy talk liegt in der Luft. Er könnte auch die Leute von der Grünen Jugend stoßen, die Bionade anstatt Cola trinken.

Er könnte allerdings auch über Aktivisten von amnesty international stolpern, die in einer Szene zeigen, was es bedeutet, wenn jemand daran gehindert wird, sich gegen Ungerechtigkeit aufzulehnen. Oder wie wäre es mit der Leipziger „Front deutscher Äpfel“? In schwarzen Anzügen stehen sie rum, an ihrem Arm die rote Binde mit Apfel drauf. In Duktus, Gestus und Gehabe imitieren sie die Neonazis, die in Sachsen bekanntermaßen im Landtag sitzen. „Was gibt der deutschen Jugend Kraft? Apfelsaft! Apfelsaft!“, skandieren sie. Sie parodieren die Forderungen der Neonazis bis an die Grenze des gerade noch Akzeptablen. Was sie damit erreichen? Bisher seien die Nazis und die Antifa von der Presse in einen Topf geworfen worden. Dazwischen stand die Polizei. Die Gründe, warum es wichtig ist, gegen Nazis auf die Straße zu gehen, die blieben in den Medien auf der Strecke. Ihr Auftreten zeige, wenn auch über den Umweg der Parodie, warum faschistisches Denken schädlich ist. Deshalb drohen sie: „Sollten sich in nächster Zeit nicht Fortschritte in der Realitätsdichte der Medienberichterstattung erkennen lassen, kündigen wir jetzt schon für Leipzig 2005 offensiv an, eine unserer schärften Waffen einzusetzen: Es wird massiv zurückgelogen.“

Wie nah alles beieinander liegt, zeigt sich auf dem Festival. Unter das Konzertpublikum haben sich auch ein paar Skins gemischt. Auf die Frage, was junge Politik ist, antworten sie: „Kein Kommentar.“

„Wir hatten damals einen Gegner, gegen den wir uns klar abgrenzen konnten: das Establishment“, sagt eine etwa 50-Jährige, die ihren noch nicht 16-jährigen Sohn zum Festival begleitet. „Heute aber sind die Jugendlichen mit einer überwältigenden Vielfalt an Themen konfrontiert, zu denen sie sich eine Meinung bilden müssen.“ Tatsächlich, das Spektrum ist weit. Es liegt zwischen „HIER GEBLIEBEN“ – dem Schlagwort auf Klebeband, das die Gruppe, die sich gegen die Abschiebung von Jugendlichen wendet, allen Vorbeikommenden auf den Rücken klebt – und „LIEBE GEBEN“. Ein Jugendlicher hat sich diese Worte aus „hier geblieben“ herausgeschnitten. Es ist seine Botschaft an die Welt.