berliner szenen: Wohin die Reise gehen wird
Ich sitze am Elsensteg, und jemand neben mir macht Seifenblasen, die über meinem Kopf schweben, bevor sie platzen.
„Cousine guck! Da ist die Sonne und da der Mond“, sagt jemand anderes auf Spanisch und zeigt auf beiden Seiten des Kanals. Sie sind zu dritt und machen Selfies, ab und an küssen sich zwei von ihnen. Sie nutzen das 48-Stunden-Neukölln-Programm wie einen Fächer. „Hey, ich bin durch“, sagt die Cousine auf Deutsch.
Oft bleibt jemand vor mir stehen und verdeckt mir die letzten Sonnenstrahlen, um den Sonnenuntergang zu fotografieren. Am allerliebsten würde ich schreiben, doch ich habe keinen Stift und kein Papier, und mein Akku ist leer. Was ich dabeihabe: Bier, Tabak, alte Kaffeetassen, die ich in der Weserstraße mit einem Schild „Zu verschenken“ gefunden habe. Und auch ich, wie das Trio, habe das Programm von 48 Stunden Neukölln mit. Allerdings war ich zu faul, um in die Läden, Kneipen und Galerien voller Besucher*innen reinzugehen.
Am Nachmittag flanierten N. und ich stattdessen durch Neukölln. Wir aßen ein Eis am Reuterplatz, und dann saßen wir unter einem Baum am Dreiländereck und sie machte mir einen Zopf – einen Kamm hatte ich auch in meinem Rucksack. Dann begleitete ich sie bis zum Görlitzer Park. Von dort aus fuhr sie mit dem Fahrrad zu einer Hochzeitsfeier auf einem Boot auf der Spree weiter.
Sie wusste nicht, wie groß die Party sein würde, und ebenso nicht, wohin die Reise gehen sollte. Deswegen behalte ich das Wasser im Blick, und wenn ein Schiff vorbeifährt, stelle ich mir vor, dass ich sie unter schick angezogenen Gästen entdecke und unsere Blicke sich kurz begegnen. Ich erhebe meine Flasche zum Anstoßen. „Bis später“, sage ich für den Fall, dass sie die Worte von meinen Lippen ablesen kann.
Luciana Ferrando
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