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Ihm wird übel mitgespielt

Barbara Vinken verteidigt mit ihrem Buch „Diva“ die Oper als hochpolitisches, subversives Genre

Von Brigitte Werneburg

Warum ein Buch zur Oper, einer gerne als gleichermaßen museal wie elitär geschmähten Kunstform, in der die Frauen erst gemeuchelt und dann tränenreich besungen werden?

Weil dem widersprochen werden muss, besser noch, weil dem gerade aus der Perspektive der Gender Studies und des Feminismus widersprochen werden kann, antwortet Barbara Vinken auf die Frage, mit der sie ihre jüngste Veröffentlichung „Diva. Eine etwas andere Opernverführerin“ einleitet. Denn die vermeintlich reaktionäre Oper sei ganz im Gegenteil „ein hochpolitisches subversives Genre“.

Schließlich attackiere sie die vermeintlich „natürlichste“ aller Oppositionen, die aller Politik der Moderne, weil sie Geschlechterpolitik ist, zugrunde liegt: die Opposition von Männern und Frauen. Neben der Mode ist es die Oper, in der Geschlecht als Rolle und nicht Natur verkörpert wird. In Zeiten, in denen sich ­wahrhaft hippe Leute genderfluid und non-­binär geben, darf man schlussfolgern, sind Mozarts Cherubino oder Octavio, Richard Strauss’ Rosenkavalier mindestens so cool wie Lil Nas X und Christine and the Queens.

Auch das auf der Bühne gefeierte Menschen­opfer der Frauen, über das sich, so die französische Feministin Cathe­rine Clément in ihrem folgenreichen Opern-Essay vom Ende der 1970er Jahre, die patriarchale Gesellschaft konstituiere und mit sich selbst versöhne, kann Vinken nicht erkennen. Diese Gesellschaft wird in der Oper gerade nicht gefeiert.

Barbara Vinken: „Diva: Eine etwas andere Opernverführerin“. Klett-Cotta, Stuttgart 2023, 432 Seiten, 30 Euro

Schon die Musik macht das deutlich, wenn von Bellini über Verdi bis Puccini keinem so übel mitgespielt wird wie dem Tenor. Und unterzieht man die Libretti einem close reading, wie Vinken es bei insgesamt 13 großen Opern von Mozart über Verdi bis Alban Berg und Richard Strauss tut, wird erst recht deutlich, wie lächerlich Männlichkeit sich auf der Opernbühne darstellt. Als krassestes Beispiel nennt Vinken den Herzog, der in Verdis Rigoletto mit „La donna e mobile“, also den Schlager über die untreuen Frauen trällernd, das letzte Wort behält: ein böser, selbstzufriedener Einfaltspinsel, ahnungslos, welche Verheerungen er angerichtet hat.

Nun hat das Regietheater, das Vinken inzwischen auch in der Oper am Zug sieht, solche Befunde durchaus schon auf die Bühne gebracht. Die „Männer in Nöten“ sieht auch die taz, wie die Überschrift einer Besprechung von Verdis Falstaff in der Komischen Oper Berlin lautet: „Zu erleben war der ganze Kosky, Dragqueen und nackter Arsch inklusive, aber auch der Musiker, der in den Proben die Partitur in der Hand hat, nicht das Textbuch. Was so sichtbar als pure Spielfreude und Komik explodiert, steht immer bei Verdi.“

In vielen ihrer aktuellen Aufführungen, deren Besuch den Lesern und Leserinnen von Vinkens „Diva“ unbedingt ans Herz gelegt sei, zeigt sich die Oper nicht nur als nicht reaktionär, sondern oft als ausgesprochen geistreich und auf der Höhe des Diskurses, was Bühnendrama wie musikalische Aufführung betrifft.

Die Stärke von Vinkens glänzend geschriebener, anregender, in ihrer Bildungsfülle allerdings auch anstrengender Untersuchung liegt in der Analyse der Opernhäuser als dem Ort, an dem sich die Gesellschaft mit ihren Opferpraktiken konfrontiert.

Diese Gesellschaft wird in der Oper gerade nicht gefeiert

Das Menschenopfer am römischen Prokonsul Pollione, das die Druidenpriesterin Norma in Bellinis gleichnamiger Oper nicht vollziehen kann, führt zu ihrem Selbst­opfer, das aber keine Niederlage, sondern Privileg und Herausforderung der althergebrachten Ordnung ist, was Pollione erkennt und mit ihr in die Flammen geht.

Im vermeintlichen Frauen­opfer der Oper, so Vinken, tritt das Selbstopfer in der Nachfolge Jesu zu Tage. Die Diven, beobachtet sie, „begegnen der Heillosigkeit der Welt in heroischem Erlösungswillen. Sie überwinden damit den Tugendterror des Patriarchats und setzen die Kraft der leidenschaftlich selbstlosen Nächstenliebe als höchsten Wert. Die Opernhäuser sind Kathedralen der Moderne, aber ihr Erlöser ist weiblich.“

Weiß Gott eine blasphemische Absage an Patriarchat und Kirche. Die freiwillige Liebe und das freiwillige Opfer, im Fall von Verdis La Traviata der Verzicht, werden natürlich nirgendwo so schmerzvoll und so selig zugleich besungen wie von Violetta. Man mag skeptisch sein, ob die an der Schwindsucht sterbende Kurtisane, die im Verzicht auf ihr Liebesglück zur Heiligen wird, wirklich ein Role-Model weiblicher Selbstermächtigung ist, doch hört man nur die ersten Töne von Violettas Liebes- und Sterbearie „Croce e delizia“, glaubt man es sofort.

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