: Ein Land als Butler für die Welt
Oliver Bulloughs dokumentiert unterhaltsam, wie Großbritannien die Oligarchen und Kleptokraten dieser Welt hofiert
Von Ralf Sotscheck
Sein Urteil über Großbritannien ist vernichtend: „Ein Ort, wo die Politik schon immer eine inzestuöse Beziehung zu den Reichen hatte und wo das Geld Vorrang vor der Moral hat.“ Oliver Bullough beleuchtet in seinem Buch „Der Welt zu Diensten“, welche Verheerungen Geld und Korruption in Großbritannien angerichtet haben.
Wer Großbritannien für einen demokratischen Musterknaben und Hort des Fair Play gehalten hat, wird Seite für Seite eines Besseren belehrt. Dabei war es eigentlich schon lange ein offenes Geheimnis, dass sich die Insel jedem an den Hals wirft, solange ein paar Pfund herausspringen. Immobilien, Dienste, Fußballvereine gehen an den Höchstbietenden – egal wie verbrecherisch er sei, schreibt Bullough. Er bietet seit einigen Jahren „Kleptokraten-Touren“ durch London an, sie führen durch die vornehmen Stadtteile Knightsbridge und Mayfair, wo „die Kumpane der schlimmsten Diktatoren der Welt und die größten Steuerhinterzieher ihre Milliarden verstecken“.
Großbritannien sei wie ein Butler, meint Bullough. „Wenn jemand reich ist, ganz egal, ob er Chinese oder Russe oder was auch immer ist, und er will, dass etwas getan oder versteckt oder gekauft wird, dann kümmert sich Großbritannien für ihn darum.“ Der Originaltitel seines Buches lautet denn auch „Butler to the World“.
Angefangen hat es 1956 mit der Suez-Krise, als Großbritannien eine demütigende Niederlage einstecken musste und seinen Status als imperiale Weltmacht einbüßte. US-Außenminister Dean Acheson sagte damals: „Britannien hat ein Imperium verloren und noch keine neue Rolle gefunden.“ Aber die hatte das Land in Wirklichkeit längst gefunden: „Finanzbetrug geschieht im Vereinigten Königreich nicht einfach; er wurde hier jahrzehntelang durch konzertierte Bemühungen gefördert. Das ist nur schwer zu begreifen, weil es dem öffentlichen Image Großbritanniens so sehr widerspricht: als das Land von Harry Potter, Königin Elisabeth II. und Downton Abbey; als Ort, der durch Ironie, Tradition und ein gehaltvolles Frühstück definiert wird.“
Bullough belegt seine These anhand von zahlreichen Beispielen. In einem besonders perfiden Fall geht es um Russland und die Ukraine. Dmytro Firtasch hatte Milliarden als Mittelsmann zwischen dem Kreml und der Ölfirma Gazprom eingenommen. Und er hatte Verbindungen zu dem Ukrainer Semion Mogilevich, der als „gefährlichster Mafioso der Welt“ ganz oben auf der Fahndungsliste des FBI steht. 2007 zog Firtasch unter dem „Golden-Visa-Programm“, das Superreichen die Einwanderung erlaubt, nach Großbritannien. Dort gründete er mithilfe zahlreicher Unterhaus-Abgeordneter die British Ukranian Society und spendete der Cambridge University sechs Millionen Pfund für die Einrichtung eines Studiengangs für Ukrainisch. Nach der russischen Invasion der Krim engagierte ihn das Londoner Außenministerium als Berater.
Oliver Bulloughs: „Der Welt zu Diensten“. Übersetzt von Sigrid Schmid und Rita Gravert. Kunstmann, München 2023, 320 S., 26 Euro
2014 verkaufte das britische Verteidigungsministerium den ehemaligen Londoner U-Bahnhof Brompton Road an Firtasch, obwohl die USA bereits einen Auslieferungsantrag wegen organisierter Kriminalität gestellt hatten. In Großbritannien interessierte es niemanden, woher sein Geld stammte. Erst das FBI kam ihm im Zuge der Geldwäscheermittlungen gegen die russische Mafia auf die Schliche. Er wurde 2014 in Österreich festgenommen und kämpft gegen seine Auslieferung an die USA, wobei ihn seine aristokratischen Freunde in Großbritannien weiterhin unterstützen.
All das wäre ohne die Komplizenschaft der Politiker, Banken und Anwälte nicht möglich gewesen. „So schlimm die anderen Länder auch sein mögen, Großbritannien ist seit Jahrzehnten schlimmer“, schreibt Bullough. „Es fungiert als gigantisches Schlupfloch, das die Regelungen anderer Länder unterläuft, Steuersätze drückt, Regulierungen außer Kraft setzt und das Geld ausländischer Krimineller wäscht. Großbritannien stellt nicht nur keine Untersuchungen gegen die Gauner an, es hilft ihnen sogar noch.“
Die Lektüre des Buches ist deprimierend, aber faszinierend, weil Bullough nicht nur sauber recherchiert hat, sondern auch höchst unterhaltsam schreibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen