: Von hochpreisig bis umsonst und draußen
In Schlössern, Scheunen und Opern: Was der Festivalsommer an Klassik-Highlights zu bieten hat – eine kleine Auslese
Von Katharina Granzin
Sommer ist Festivalzeit, das gilt für alle Arten und Sparten von Musik, auch für jene, die allgemein als „Klassik“ bezeichnet wird. Wer genügend Zeit und Geld zur Verfügung hätte, könnte im deutschsprachigen Raum theoretisch monatelang von Festival zu Festival reisen, ohne je eine Pause einlegen zu müssen. Wir stellen im Folgenden ein paar Festivals, ihre Konzepte und Highlights vor, möchten aber vorab auf die strenge Subjektivität der Auswahl und die Unvollständigkeit der Darstellung hinweisen.
Schleswig-Holstein Musikfestival (1. 7.–27. 8.)
Das wohl bekannteste jener Festivals, die ihre geografische Lage im Namen tragen und über die Musik zugleich ein ganzes Bundesland als Kulturstandort vermarkten, ist das Schleswig-Holstein Musikfestival, das vom 1. Juli bis zum 27. August praktisch überall im Land stattfindet. (Ein bisschen gemogelt wird allerdings: Hamburg darf auch mitmachen.) Dabei wird nicht nur mit internationalen Stars der Klassikszene gelockt, sondern auch mit der Vielfalt und teilweise großen Originalität der Veranstaltungsorte. Von der Reithalle über den ehemaligen Kuhstall bis zum ausrangierten Fährschiff ist alles dabei.
„Moin London“ lautet in diesem Jahr das Motto des Festivals, das sich damit programmatisch den Verbindungen zur britischen Hauptstadt und der dortigen Musikkultur widmet. „Porträtkünstler des Jahres“ ist der Geiger Daniel Hope, der den Sommer über mit einer unfassbaren Fülle verschiedener Konzertprogramme praktisch omnipräsent im nördlichsten aller deutschen Bundesländer sein wird. Eröffnet wird das Festival in der Lübecker Kongresshalle mit Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium „Elias“ – vom Orchester der Elbphilharmonie unter Alan Gilbert und mit einer riesigen Chorbesetzung, die an die Besetzung der englischen Uraufführung (nicht in London, sondern in Birmingham) von 1846 heranreicht.
Festspielsommer Mecklenburg-Vorpommern (ab 17. 6.)
Auch in Mecklenburg-Vorpommern setzt man auf die Verbindung von klassischer Musik mit landschaftlichen und baulichen Schönheiten. Schlösser, Gutshäuser, Scheunen, Stallungen, eine Synagoge und ein Bootshaus zählen zu den Veranstaltungsorten. „Preisträger in Residence“ ist in diesem Jahr der litauische Akkordeonist Martynas Levickis. Er wird über zwanzig Konzerte geben, angefangen beim Eröffnungskonzert in der Konzertkirche Neubrandenburg, bei dem er mit der NDR Radiophilharmonie unter Delyana Lazarova auftritt.
Der Festspielsommer erstreckt sich zeitlich bis in den frühen Herbst und gliedert sich in zahlreiche thematisch ausgerichtete Reihen. Unter dem Label „Junge Elite“ etwa werden aufstrebende Klassik-Jungstars präsentiert, die unter anderem vom 19. bis 21. Juli auf Schloss Bothmer ihre Kunst bei einem Kammermusikfest zu Gehör bringen. Die „Inselmusik“ auf Rügen widmet sich ab dem 13. 9. dem Format des Streichquartetts und präsentiert zahlreiche internationale Ensembles. Ein besonderes Schmankerl dabei: Alfred Brendel wird auf der Insel sein und mehrere offene Meisterkurse für Streichquartett unterrichten.
Händel-Festspiele Halle (26. 5.–11. 6.)
Am 26. Mai haben in Halle die Händel-Festspiele begonnen, eröffnet in diesem Jahr unter anderem mit der Oper „Serse“ („Xerxes“), in der die schönste aller je geschriebenen Barock-Arien enthalten ist: eine Ode an den Schatten eines Baumes. „Ombra mai fu“, und damit die Hosenrolle des Xerxes, wird in der Oper der Stadt Halle von Anna Bonitatibus gegeben; in weiteren Vorstellungen am 28. 5., 3. 6. und 11. 6. Während der drei Festspielwochen stehen nicht nur Opern und Konzerte auf dem Programm – darunter „Lunchkonzerte“ bei freiem Eintritt –, sondern auch zahlreiche Vorträge und Führungen. Ein kulinarisches „Walking Dinner“ verspricht gar „Speisen aus Händels Zeit“. Stilecht und Händel-gerecht endet das Festival am 11. 6. in der Galgenbergschlucht mit einem Feuerwerk nach dem Abschlusskonzert.
Bachfest Leipzig 8.6.–18. 6.
Das diesjährige Festivalmotto „Bach for future“ wird beim Leipziger Bachfest sehr vielfältig mit programmatischem Leben gefüllt. Bereits beim Eröffnungskonzert (mit Thomanerchor, Thomasorganist, Gewandhausorchester) wird neben Werken von Übervater J. S. Bach auch eine Uraufführung zu Gehör kommen: Jörg Widmann hat für den Anlass eine Kantate für Soli, Chor und Orchester komponieren dürfen. Auch in den Nebensparten ist das Festival offen für zeitgenössische Formate und gibt sich dabei sehr niedrigschwellig. Auf dem großen Markt von Leipzig etwa, wo am 9. 6. noch Lang Lang, der nimmermüde Daniel Hope & Co. bei Kartenpreisen ab 60 Euro auftreten, wird an den Folgetagen das Konzept „Umsonst und draußen“ befolgt, wobei unterschiedlichste Stile und Musiken zu erleben sind. Das Mitbringen eines Sitzkissens ist anzuraten, denn gesessen wird auf dem nackten Pflaster.
Für wen Sitzen generell nichts ist, findet im opulenten Festivalprogramm zahlreiche musikalisch-thematische Stadtführungen. Bei anderer Gelegenheit kann Kaffee (frei nach der berühmten Bach-Kantate „Ey! Wie schmeckt der Coffee süße“) verkostet werden, Wein sowieso. Und wer mit dem Auto angereist sein sollte, hat die Möglichkeit, diesen Umweltfrevel durch eine Wald-Spende zu kompensieren. Denn: „Um in Zeiten des Klimawandels den ökologischen Fußabdruck des Bachfestes zu reduzieren, unterstützt das Bach-Archiv die Anpflanzung des,Johann-Sebastian-Bach-Waldes'am Rande eines ehemaligen Braunkohle-Tagebaus im Leipziger Süden.“
Musikfest Stuttgart 16. 6.–2. 7.
Nachhaltigkeit ist auch beim diesjährigen Musikfest Stuttgart ein bestimmendes Thema, weshalb man unter anderem den Zukunftsforscher Harald Welzer eingeladen hat, um vorab einen Festvortrag zu halten (15. 6.). Das Eröffnungskonzert mit Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“, deren Chorpartie zu einem großen Teil von Kinderchören getragen wird, ist mit dem Untertitel „Erde an Zukunft“ versehen worden. Auch ansonsten demonstriert die Programmauswahl Naturnähe und ökologisches Bewusstsein und betont diesen Anspruch mit einem begleitenden Vortragsprogramm.
Bonn: Widerstand der Klänge. Festival für Neue Musik aus der Ukraine, 9. 6.–18. 6.
Ganz am westlichen Rand der Republik widmet sich ein kleines Festival, organisiert von der In Situ Art Society, der ukrainischen Musik. Dabei wird ein Überblick über mehrere Jahrzehnte gegeben, angefangen bei Vertretern der „Kiewer Avantgarde“, die im sowjetischen Kontext mit ihrer Klangästhetik auf Unverständnis stießen, bis hin zur jüngsten Generation zeitgenössischer Komponist:innen. Kammermusik, elektroakustische Musik, zahlreiche Vokal- und Chorwerke sowie ein Film über den Komponisten Valentin Silvestrov stehen auf dem Programm.
Schwarzenberg/Hohenems (Vorarlberg): Schubertiade, 17. 6.–8. 10.
Wer den sommerlichen Wanderurlaub im Bregenzer Wald verbringt, muss nicht auf Kulturgenuss verzichten. Das Dorf Schwarzenberg wartet mit dem ob seiner Akustik hoch gepriesenen Angelika-Kauffmann-Konzertsaal auf, dem Hauptspielort des alljährlich hier und im nahen Hohenems stattfindenden Franz-Schubert-Festivals: der Schubertiade. Von Juni bis Oktober wird in jedem Monat eine Woche dem Festival gewidmet sein. Lieder- und Klavierabende sowie Kammermusikkonzerte stehen auf dem Programm. Den Anfang macht am Nachmittag des 17. 6. das Pavel-Haas-Quartett mit Werken von Schubert und Antonín Dvořák.
Innervillgraten (Osttirol): Hochkulturfestival, 10. 8.–12. 8.
Auf 1.673 Meter über dem Meeresspiegel findet das wohl höchstgelegene Klassik-Festival des Sommers statt. Die Osttiroler Musikbanda Franui, die mit ihren eigenwilligen Zurichtungen klassisch-romantischen Liedguts europaweit Erfolge feiert, lädt zu diesem feierlichen Anlass für drei Tage im August die europäische Musik auf die heimische Unterstalleralm ein. Aus dem weit entfernten Wien wird man eigens einen Flügel holen und auf die Almbühne stellen, auf dem Vikingur Ólafsson Bachs „Goldberg-Variationen“ exerzieren und die junge deutsche Jazzpianistin Johanna Summer in musikalischen Grenzgängen schwelgen kann.
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