EDITORIAL: 25 Jahre „Weltmusik“
25 Jahre ist es her, dass sich eine Gruppe von Label-Machern, Musikjournalisten und Konzertveranstaltern in einem Londoner Pub traf und sich nach reiflicher Überlegung auf das Wort von der „Weltmusik“ einigte. Es ging darum, einen Oberbegriff zu finden, um all jene lokal populären Musikstile und Künstler bekannter zu machen, die sich außerhalb der anglophonen Popwelt bewegten. Mission accomplished, könnte man angesichts des Welterfolgs von Youssou N’Dour und Kollegen, von Cumbia & Co heute sagen.
Doch so alt wie der Begriff „Weltmusik“, so alt ist die Debatte darüber, ob er denn in Ordnung ist. Ist er nicht etwas eurozentrisch? Und was ist damit überhaupt gemeint? Alle Jahre wieder findet sich wieder ein schlechtgelaunter Musikjournalist, der sich daran abarbeitet – zuletzt der Frankfurter Radio-DJ Klaus Walter in dieser Zeitung (taz vom 9. 3.).
Seltsam nur, dass andere Genre-Bezeichnungen keine vergleichbare Kritik auf sich ziehen. Wer heute noch moniert, dass „Indie“-Musik oft gar nicht so „Independent“ ist, wie es der Name suggeriert, der macht sich lächerlich. Genauso albern wäre eine Debatte darüber, ob „Garage“ wirklich in Garagen entsteht – oder ob HipHop wirklich hoppelt. Richtig ist, dass bei der Vermarktung von „Weltmusik“ oft Exotismus im Spiel ist. Aber das ist bei HipHop und anderen Stilen, die stets den Geruch von „Ghetto“ verströmen müssen, um als „authentisch“ zu gelten, auch nicht anders. Was also ist das Problem?
Auffällig ist, dass sich vorwiegend solche Musikjournalisten an dem Begriff stoßen, die kaum je über den eigenen, deutschen und anglophonen Tellerrand blicken – ganz so, als würde es sie stören, dass es da draußen, außerhalb ihrer kleinen Welt, noch eine ganze Menge Musik gibt, von der sie nichts verstehen. Diese narzisstische Kränkung könnte man ignorieren. Doch das Unverständnis und das xenophobe Ressentiment, dass sie all jenen Klängen entgegenbringen, die nicht in ihr Raster oder die Schubladen eines westlichen Pop-Verständnisses passen, unterscheidet sich kaum von dem ihrer Eltern, die einst über „Neger“- und „Hottentottenmusik“ schimpften. Das macht es so unangenehm.
Der Mainstream ist da weit toleranter, wie man zuletzt am erstaunlichen Erfolg des brasilianischen Sertanejo-Sängers Michel Teló (Seite 8) sehen konnte. Und das Internet hat seinen Teil dazu beigetragen, dass es zum Glück nicht mehr vom Geschmack deutscher Musikjournalisten und lokal operierender Plattenfirmen abhängt, ob ausländische Musikstile hierzulande Gehör finden. Vielleicht hat sich der Begriff von der „Weltmusik“ in Zeiten des Internets, wo die Grenzen zwischen Nationen und Genres, zwischen „innen“ und „außen“ des Pop immer mehr verschwimmen und immer mehr Künstler wie Roberto Fonseca und Ray Lugo (Seite 4), Kottaraschky (Seite 6) oder Quantic (Seite 7) in ihrem Kopf ihre eigenen Musikwelten entwerfen, tatsächlich überlebt.
Aber ist das so wichtig? Die meisten Musiker – egal, woher sie kommen – wollen vor allem gehört werden. Ob man das, was sie machen, dann „Weltmusik“ oder anders nennt, ist ihnen meist ziemlich schnuppe.
DANIEL BAX
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