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Aus der Seele gesprochen

Da tanzt die Masse: Das achte Flinta HipHop Festival „Jenseits von Nelken und Pralinen“ im Gretchen

Von Julian Csép

Dass Rap beziehungsweise Hip-Hop reine Männersache sei, ist und war nie richtig. Den Beweis hierfür lieferten die US-amerikanischen Rapperinnen Heather B und Queen Latifah bereits in den frühen neunziger Jahren. Auch Berlin brachte, wenn auch mit ungefähr zehn Jahren Verspätung, weibliche HipHop-Koryphäen wie die „Queen of Beats“ Melbeatz oder die Rapperin Kitty Kat hervor.

Keine Frage, dass diese Künstlerinnen maßgeblich prägend für diese Szene waren und immer noch sind. Außer Frage steht allerdings auch, dass weibliche MCs lange Zeit eher als Exoten im männlich dominierten „Rap Game“ galten und im Vergleich zu ihren Kollegen deutlich weniger Strukturen zur Verfügung hatten, die ihre Karriere unterstützten.

Heute ist es normal, dass die Deutschen Streaming-Charts von weiblichen Rap Artists angeführt werden. Braucht es da überhaupt noch ein Festival, auf dem ausschließlich Flinta – Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender – Acts spielen? „Auf jeden Fall“, findet Katharina Wu, eine der Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen des mittlerweile achten Flinta HipHop-Festivals „Jenseits von Nelken und Pralinen“. „Ich war letztes Jahr mit meiner Kollegin Jackie Jackpot auf der Messe Future of Festivals in Berlin, wo unter anderem genau diese Frage bei einer Podiumsdiskussion besprochen wurde. Dort konnten wir noch mal schwarz auf weiß nachlesen und hören, dass das, was wir machen, extrem wichtig ist. Zwar gibt es Veränderungen, was die Präsenz von nicht Cis-männlichen Rap­pe­r*in­nen auf deutschen Festivals betrifft, allerdings ist diese marginal und bewegt sich prozentual nicht mal im zweistelligen Bereich“, so Katharina Wu.

Das Gretchen, in dem das Festival zum dritten Mal stattfindet, ist restlos ausverkauft. Den Startschuss an diesem Abend macht die aus der französischen Schweiz kommende Rapperin Baby Volcano, deren Familie aus Guatamala stammt. Nach einem kurzen gesampelten sphärischen Piano-Intro entledigt sich die Künstlerin ihrer mit Fransen behafteten lila Sturmmaske und präsentiert mit den Worten „Mi Casa mi cuerpo“, was auch die Hook des darauffolgenden Songs „SPM“ ist und übersetzt bedeutet „Mein Körper, mein Tempel“, ihren mit roter Farbe bemalten Oberkörper. Nach wenigen Minuten hat sie das Publikum fest in der Hand.

Nicht viel anders ist es bei der Performance des non-binären MC VVSPanther. Mit Beats, die sich sowohl beim Dance Hall als auch beim Atlanta Trap bedienen, bringt der/die Künst­le­r*in die tanzende Masse im 3-Minuten-Takt zu einem Wechsel aus „Booty shaken“ und Pogo.

Auch an die „Old-School Hip- Hop Heads“ wurde dieses Jahr gedacht. Viel Gescratche und eine ordentliche Portion Boom Bap Beats, die den aggressiven Rap der Pariser Rapperin Fanny Polly untermalen, vermitteln das Gefühl, man sei bei einem Underground-Konzert in einer Pariser Banlieue der Nullerjahre.

Ein deutschsprachiger Auftritt kommt an diesem Abend von der in Hamburg lebenden Rapperin Satarii. Die Rapperin und Produzentin, die ihre Musik selbst als pinken Anime Rap bezeichnet, braucht nicht lange, bis die Crowd ihre Texte inbrünstig mitschreit. Mit Zeilen wie „Was musst du hinterherpfeifen, Junge?“ und „Geh mal weg, ja ja“ scheint sie vielen der anwesenden Frauen aus der Seele zu sprechen.

Justina, die aus dem Iran kommt, beschreibt ihre Musik als Mischung aus persischer Volksmusik und Rap Foto: Amber Macintyre

Ein besonderes Konzert ist das der seit fünf Jahren im Exil lebenden iranischen Rapperin Justina. Nach einem gepflegten „Jo, jo“, um das Mikrofon zu checken, erzählt die Rapperin, wie froh sie ist, heute Abend hier zu sein und nicht – wie es die iranische Regierung gerne hätte – im Gefängnis.

In einem Gespräch mit ihr vor ihrem Auftritt berichtet Justina, dass, obwohl sie bereits seit 15 Jahren Musik macht, dies erst das zweite Festival ist, auf dem sie spielt. Ein Grund dafür ist: Als Frau im Iran in der Öffentlichkeit zu singen oder zu tanzen, ist illegal, „da dies nur darauf abziele, den Mann zu verführen“. „Es scheint so“, sagt die Rapperin lachend, „als seien die Männer im Iran keine Menschen mehr, sondern pausenlos erigierte Penisse“.

Ihre Musik, die sie selbst als eine Mischung aus persischer Volksmusik und Rap beschreibt, kommt beim Publikum gut an. Bereits nach nur wenigen Minuten gibt es kaum noch eine Person im Saal, die nicht tanzt. Der letzte Song ihres Sets trägt den Titel „Fatva“, ein Lied, das die religiösen Gesetze der iranischen Regierung kritisiert und der Grund für die Verhaftung von ihr und ihrer Freundin Faravaz vor fünf Jahren war.

Um so bewegender war der Moment, als die Sängerin Faravaz die Bühne betrat, um mit erhobener Faust gemeinsam mit Justina jenen Song zu performen.

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