Regierung im Irak: Die Probleme bleiben
Das Land hat einen neuen Präsidenten und Regierungschef. Ob das den Weg aus der Sackgasse weist, ist fraglich. Der inner-schiitische Machtkampf bleibt.
Die Sitzung des irakischen Parlaments am vergangenen Mittwoch war von mehreren Angriffen begleitet. Innerhalb von wenigen Minuten schlugen im näheren Umfeld neun Katjuscha-Raketen ein. Mindestens zehn Menschen, darunter auch Mitarbeiter verschiedener Sicherheitskräfte, wurden verletzt.
Im Gebäude selbst verfolgten die Abgeordneten stoisch die Tagesordnung und wählten im vierten Anlauf Abdul Latif Rashid zum neuen Präsidenten. Das eher zeremonielle Amt steht traditionell einem Kurden zu. Abel Latif setzte sich gegen den bisherigen Präsidenten Barham Salih durch, der für eine zweite Amtszeit angetreten war.
Die wichtigste Aufgabe des neuen Präsidenten besteht darin, einen Premierminister zu bestimmen. Und so vergingen nur wenige Minuten, bevor der neu erkorene Staatschef dann Mohammed Al-Sudani zum neuen irakischen Ministerpräsidenten ernannte. Der soll nun innerhalb eines Monats eine Regierung bilden.
Hinter den Kulissen rumort es
Al-Sudani ergriff sofort selbst das Wort und erklärte, er werde sein Bestes tun, „eine starke Regierung zu bilden, die aus professionellen und ehrlichen Ministern bestehen wird, die ihrer Verantwortung gerecht werden“.
So weit so gut. Das US-Außenministerium gratulierte dem neuen Präsidenten zu seiner Wahl und dem neuen Premier zu seiner Ernennung und hieß das Ende der irakischen Sackgasse willkommen. Zumindest dem formellen Prozess scheint Genüge getan.
Doch hinter den Kulissen rumort es weiter. Denn der inner-schiitische Kampf um die Macht, der seit den Parlamentswahlen vor einem Jahr andauert, es damit nicht beigelegt. Stattdessen versucht sich hier eine Seite nun durchzusetzen. Die Wahlen gewonnen hatte damals eigentlich der Block des Schiitenpolitikers und Predigers Muqtada Sadr. Der hatte versucht, eine Regierung ohne den zweiten großen Block, die Allianz pro-iranischer Parteien zu bilden. Nachdem er gescheitert war, zogen sich die Sadristen aus dem Parlament zurück.
Nun versuchen die pro-iranischen Parteien mit Al-Sudani einen der ihren ins Rennen zu schicken, um eine Regierung auf die Beine zu stellen. Al-Sudani ist zwar parteilos, gilt aber als Marionette der pro-iranischen Gruppen.
Von der Seitenlinie
Der innerschiitische Machtkampf wird damit weiter fortgesetzt und mit ihm auch die Frage, ob iran-hörige Parteien die Zukunft des Landes bestimmen oder eher die Sadr-Bewegung, die einen irakisch-nationalistischen Kurs fährt und versucht sich vom iranischen Einfluss zu lösen.
Alle anderen politischen Gruppierungen, seien es die sunnitischen oder die kurdischen, schauen seit Monaten von der Seitenlinie zu, wie dieser Machtkampf der schiitischen Parteien, die zusammen im Parlament die absolute Mehrheit stellen, ausgehen wird.
Der ganze Irak wartet nun darauf, wie die Sadristen auf die Ernennung ihres politischen Konkurrenten Al-Sudani reagieren werden. Die im Land am meisten diskutierte Variante: Muqtada Sadr wird alles daransetzten, Al-Sudanis Versuche, eine Regierung zu bilden, zu sabotieren. Denn schafft Al-Sudani das innerhalb der vorgegeben Monatsfrist nicht, müsste der neue ernannte pro-iranische Premier wahrscheinlich wieder seinen Hut nehmen.
Dann würden eine Auflösung des Parlaments und Neuwahlen wahrscheinlicher – etwas das Muqtada Sadr schon seit Monaten fordert. Er weiß, dass die Popularität der pro-iranischen Parteien seit den Wahlen weiter geschwunden ist. Auch die gegenwärtigen Unruhen im Iran selbst schwächen deren Position im Irak. Auch mit der Ernennung eines neue Premiers, ist das letzte Kapitel des inner-schiitischen Machtkampfs im Irak also noch lange nicht geschrieben
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