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Beeindruckende Gebärden

Wie lässt sich ein Maler tanzen – als biografisches Erzählballett? Für Egon Schiele findet die Choreografin Erika Silgoner mit der Commedia Futura in Hannover einen klügeren Zugang

Endlos von sich selbst entzückt: Kacper Szklarski als träumender Egon Schiele Foto: Pietro Jorge

Von Jens Fischer

Egon Schiele träumt schlecht. Wie eine Spieluhrfigur rotiert er im Zentrum der seelendunklen Bühne. Die steht im einstigen Kühlraum der Klareisfabrik in Hannovers Südstadt, heute der „Schwarze Saal“ der Commedia Futura. „Schatten“ heißt deren Erkundung der Malerpsyche, die nun in der Jubiläumsspielzeit zum 40. Geburtstag des freien Theaters zur Uraufführung kommt. Idee, Konzept und Choreografie verantwortet die sizilianische Tänzerin Erika Silgoner, die bereits Modenschauen für Pekings Parteidiktatur, die Fahnenübergabe bei der Abschlusszeremonie der Olympischen Spiele 2022 sowie diverse Abende ihrer eigenen Tanz-Compagnie Esklan Art’s Factory choreografiert hat.

Über die Wände des kahl-surrealen Nachtambientes flirren nun Zeichnungen Schieles: Einzelne Linien tanzen auf dem träumenden Kacper Szklarski, der Schiele darstellt; geschmeidig expressive Posen ziseliert er mit seinem perfekt maskulin designten Körper in den Raum. Er spielt mit Verweisen auf Selbstporträts des Künstlers, ohne aber so ratlos zerbrechlich zu wirken wie dieser auf seiner psychologischen Wahrheitssuche hinter dem schönen Schein. Szklarskis Schiele ist eher endlos von sich selbst entzückt.

Bedrohlich aber kreiseln um ihn sein Nacktmodell, seine Muse und Lebensgefährtin Wally Neuzil (Hannah Stein), sowie der Vater Adolf Eugen Schiele (Grégoire Manhes), Bahnhofsvorsteher mit Hang zu Prostituierten. Wegzuscheuchen versucht Schiele beide Erscheinungen, die dem Stücktitel entsprechend auch Schattenaspekte seiner selbst und als solche denkbar schwer loszuwerden sind. Schiele ist halt nicht Regisseur, nur Betrachter seines nächtlich tobenden Unterbewusstseins. Also machen beide Figuren erst mal ihren Einfluss geltend – und ballettieren ihrerseits verlockend elegant als Schattenprojektionen.

Der Vater starb, als Schiele 14 Jahre alt war, an syphilitisch progressiver Paralyse. Was des Künstlers Blick auf die Welt wohl verdunkelt und den haltlosen Freiheitsdrang befeuert hat. In Hannover setzt der Papa beim Sohnemann nun zum Vampirbiss an, verrenkt seine Glieder, stößt animalische Laute aus, zuckt wie unter Elektroschockfolter. Auch wenn es Ansätze zu Umarmungen gibt und ein zärtliches Auf-den-Arm-Nehmen, spendet die Figur nirgends väterlich Halt oder Orientierung, sondern verbreitet Angst mit ihren Wahnzuständen. Schiele aber bewahrt eitel Haltung.

Nun kommt Wally, spreizt die Beine. „Ich bin alles, was du siehst“, versucht sie ihm einzureden. Beider Körper auf immer verschlungen, so ihre Sehnsucht. Daher die Behauptung: „Du bist alles, was ich sehe.“ Verführerisch tut sie all das, was herkömmlich mit Räkeln bezeichnet wird, wobei sie auch Haltungen aus Schieles Abbildern ihrer Physis zitiert und wie dort nun Echtzeit-Blickkontakt zu den Betrachtenden sucht.

„Deine Hände – mein Körper“ ist das Leitmotiv von Wallys Tanz. Da Schiele sich vor allem um sich selbst dreht, begrapscht sie sich selbst, schmeißt ihm aber ihre erotische Lust und sexuelle Gier entgegen, während der Vater zunehmend psychopathisch dazwischen quatscht. Schließlich springt sie ihren Egon an, stöhnt und haucht sich dabei dem lautmalerischen Orgasmusvokabular entgegen – und fällt geradezu ohnmächtig um. All das soll wohl an- und danach ausziehend wirken; kommt aber eher anstrengend rüber.

Das Objekt der Begierde kämpft überfordert um Distanz. Zieht sich zurück. Und scheut in der Selbstbezüglichkeit weder Masturbation noch autoerotische Analstimulation. Um am Ende, unglücklich allein, seiner Wally ein „Ich liebte dich“ hinterherzurufen. Zeichnungen ihres Körpers tanzen erneut über seine Haut. Als Verweis auf die Kompensation des Lebens in der Kunst, um so die Welt begreifen und sich selbst darin irgendwie in den Griff bekommen zu wollen. In der Realität hat Egon seine Wally verlassen, um eine bürgerliche Ehe einzugehen und sozial besser dazustehen.

Inhaltlich spiegelt die Choreografie Schieles Voyeurismus und Exhibitionismus

Die tragisch Liebende, mit der Schiele einen von akademischer Starre befreiten Stil entwickelt und Aktzeichnungen als autonome Kunstwerke gestaltet hat, flüchtete als Hilfskrankenschwester zum Militärdienst und starb dort 1917 an Scharlach – Schiele wie auch seine neue Frau ein Jahr später in Wien an der Spanischen Grippe.

Aber die Inszenierung ist kein Biografie-, sondern Körper- und Gebärdentheater von wirklich beeindruckender Intensität. Energie und Ausstrahlung erinnern an Schieles Werke, inhaltlich spiegelt die Choreografie den Voyeurismus und Exhibitionismus des Künstlers, sein künstlerischer Ausdruck wird zur performativen Erzählung. Erika Silgoner hat überzeugende Arbeit mit dem Tanztrio geleistet und mehr als nur Klischees reproduziert.

Zu erleben ist weniger der vitale Maler ausgezehrt fragiler, überdehnter Körperbilder, die von großer Unruhe künden und dabei den Hunger nach – und das Unbehagen an – den Verheißungen des Lebens offenbaren, ja, geradezu existenziellen Zweifel vermitteln. In „Schatten“ wird Schiele vor allem als ein Mann unter Einfluss präsentiert, seine Kunst als Ausdruck einer gequälten Seele. Oder als Manifestation eines träumend Getriebenen zwischen Narzissmus und schonungsloser Befragung des eigenen Ichs.

„Schatten. Egon Schiele“. Weitere Termine: 20., 21., 22., 27., 28. + 29. 10, jeweils 20 Uhr, Hannover, Eisfabrik

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