berliner szenen: Boulodrome mit Teelichtern
Eine dieser lauen Nächte, in denen ich ausschwärme auf der Suche nach Abkühlung. Mein Blick fiel auf eine Kaffeetasse, über der züngelnde Dampfschwaden Heißgetränke versprachen. Vor dem Café Monchérie herrschte jedoch die Tristesse zusammengestellter, mit Draht gesicherter Klappstühle. Die Töpfe mit Steckrosen verbannt in eine Ecke, als sollten sie sich schämen.
Es war nach elf und rund um den Leuthener Platz waren immer noch Leute unterwegs. Vor ein paar Jahren wurde hier ein Kiefernhain angelegt, als aus dem angrenzenden Industriegebiet Grundstücke abgeknapst wurden, für Start-ups, einen Biergarten, Kletterhallen und Beachvolleyballplätze. Das Flutlicht über den Beachvolleyballplätzen war gerade erloschen, linker Hand hatten die Mitglieder der Deutschen Trinker Union (DTU) Teelichter aufgestellt, um ihre noktambule Boule-Arena zu beleuchten. Rechter Hand tauchte ein alter VW Bully auf und ein Mann mit einem Sack, der sich mit Flaschen füllte.
Eben noch saß ich auf einer Bank, blickte der S-Bahn, dem Zug nach Prag hinterher, schrieb ein Gedicht oder erinnerte mich, wie ich ein Gedicht schrieb über den preußischen Militarismus und die Flugversuche Lilienthals unweit von dort auf dem Tempelhofer Feld. Plötzlich bremste ein Rad scharf. Es war Jordan, ein Freund. Er war auf dem Weg zu einer nicht ganz koscheren Party auf dem Südgelände. „Komm mit“, sagte er diabolisch und wies auf seinen Gepäckträger. Ich blickte ihn sehnsüchtig an und hielt meinen Block hoch: Muss noch was korrigieren. Jordan brauste davon. Ein Lastenrad schwänzelte sich über einen Zebrastreifen. Zwei Kanadier auf dem Dach eines Kleinbusses versprachen Feriengenuss. Ich wusste immer noch nicht, wo ich im Sommer hinfahren sollte.
Timo Berger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen