: „Breaking Bad“ im Berliner Norden
Der Film „Heikos Welt“ ist eine rührende Hommage an die schrägen Figuren an der Theke und an einen Wedding, der so bleiben soll, wie er ist. Auch dank Crowdfunding konnte Regisseur Dominik Galizia die Geschichte mit Martin Rohde in der Titelrolle realisieren
Von Matthieu Praun
Heikos Welt ist der Berliner Norden. Genauer genommen die verrauchten Weddinger Eckkneipen, in denen er Futschi trinkt, Darts spielt und gelegentlich krumme Dinger dreht. Lange trieb Heiko, eher zum Leben erweckt als gespielt von Martin Rohde, nur auf Youtube sein Unwesen, wo er in den Musikvideos der Nordachse-Crew um die Rapper MC Bomber und Shacke One auftauchte. Später wurde ihm eine eigene Miniserie gewidmet. In kurzen Videos angelt er in der Panke, sammelt Pilze oder kocht. Dabei trinkt er Bier und gibt Lebensweisheiten von sich. Denn Heiko ist ein selbst erklärter Mann von Welt, wobei diese für ihn nur knapp bis an die Stadtgrenze reicht. Jetzt ist seine Welt jedoch größer geworden: „Heikos Welt“ gibt es nun auch auf großer Leinwand. Verfilmt von Dominik Galizia, finanziert Dank Crowdfunding auch von seinen Fans. Das Ergebnis lässt sich sehen. Nicht umsonst wurde Martin Rohde für seine Rolle als Heiko im letzten Jahr auf dem Münchner Filmfest als bester Schauspieler ausgezeichnet.
Heikos Welt droht zusammenzubrechen, als seine Mutter langsam, aber sicher erblindet. Schnell ist klar, eine Operation muss her. Die bezahlt aber die Krankenkasse nicht. Jetzt beginnt ein Nordberliner „Breaking Bad“-Abenteuer: Heiko, der Weddinger Walther White, muss möglichst schnell an Geld rankommen. Da kommt das große Kneipendartturnier gerade recht. Denn Heiko ist richtig gut im Dart, zumindest wenn er betrunken ist. Das lässt sich aber einrichten. Nachdem er Jadefuchus, seine einzige ernstzunehmende Gegnerin, überzeugt hat, nicht am Turnier teilzunehmen, steht Heikos Sieg nichts mehr im Weg. Die geheimnisvolle Dartqueen verfolgt aber ihre eigenen Pläne und braucht dafür Heikos Hilfe. Der ist längst verknallt und lässt sich darauf ein. Soweit der Plot.
Zu Heikos Welt gehören aber auch seine Fans. „Kinobetreiber in ganz Deutschland fürchten sich vor dem Publikum von ,Heikos Welt‘“, begrüßt Anne Lakeberg, die Betreiberin des City Kino Wedding, eben dieses Publikum am Mittwochabend zur Vorpremiere. Lautes Grölen schlägt ihr entgegen.
Der Saal ist voll, viele Zuschauer:innen auch. Ausgeschenkt wird natürlich das eigene Nordberliner Pils mit Heiko auf dem Etikett. Dass vor allem Männer anwesend sind, entgeht Lakeberg nicht: „Normalerweise kommen zu unseren Veranstaltungen 80 Prozent Frauen. Heute sehe ich vor allem Männer im Publikum. Wo seid ihr denn sonst?“ Vermutlich in Eckkneipen, wahrscheinlicher noch in der Uni. Heute sind sie hier, um Heiko zu sehen. Und um Teil seiner Welt zu sein, das hier ist ihr Gastauftritt. Bevor der Film losgeht, noch eine letzte Warnung: „Wenn ihr hier drin raucht, geht der Feueralarm los. Das wollt ihr wirklich nicht.“ Die anschließende Vorführung gleicht einem Konzert: Die Fans feuern Heiko an, bejubeln seine Treffer und buhen seine Gegner aus. Zum Schluss gibt es „Heiko“-Sprechchöre und Standing Ovations für das ganze Team, das sich auf der Bühne versammelt hat.
Ist „Heikos Welt“ nun klischeebeladener Eckkneipenkitsch oder authentisches Gesellschaftsporträt? Vermutlich beides: Der Film ist eine rührende Hommage an die schrägen Figuren an der Theke und an einen Wedding, der so bleiben soll, wie er ist. Dass Veränderungen doch geschehen, thematisiert der Film am Rande, indem er Revierkämpfe zwischen Stammgästen und Hipstern andeutet. Und doch bleibt Heiko eine Kunstfigur, die Suff, Berliner Schnauze und Weddingtreue konsequent auf die Spitze treibt. Genauso wie seine Fans, die sich an dieser Ästhetik bedienen.
„Heikos Welt“, Deutschland 2021, Regie: Dominik Galizia. Mit Heike Hanold-Lynch, Martin Rohde, Hans Jürgen Alf, 108 min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen