doppelblind: Ein Nickerchen in Ehren …
Sie retten rund um die Uhr Menschenleben, löschen nachts Brände, bringen Feierwütige morgens nach Hause: Fast jede:r Sechste in Deutschland arbeitet im Schichtbetrieb. Was gut ist für die Gesellschaft, macht die Betroffenen selbst krank: Schichtarbeiter:innen leiden gehäuft unter Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Problemen und sind einem höheren Krebsrisiko ausgesetzt. Wer regelmäßig nachts arbeitet und tagsüber schläft, hat zudem ein ziemlich eingeschränktes Sozialleben. Das belastet die Psyche.
Doch als wäre das nicht genug: Die Umstellung des Körpers auf wechselnde Wach- und Schlafzeiten schränkt auch die kognitiven Fähigkeiten ein – und damit die Qualität der Arbeit. Das haben Psycholog:innen der Sigmund Freund Privatuniversität Linz nun erstmals in einer breit angelegten Metastudie gezeigt. Die Forscher:innen analysierten 18 kontrollierte Studien, in denen Schichtarbeiter:innen hinsichtlich Hirnaktivität, Reaktionszeit, Gedächtnisleistung und anderer kognitiver Fähigkeiten getestet wurden. Insgesamt flossen Daten von mehr als 18.000 Testpersonen in die Analyse ein, darunter Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen, aber auch Polizist:innen oder IT-Mitarbeiter:innen. Ihre Ergebnisse haben die Linzer Forscher:innen diese Woche im Fachblatt Occupational & Environmental Medicine veröffentlicht.
Demnach schneiden Schichtarbeiter:innen bei fünf von sechs getesteten kognitiven Fähigkeiten signifikant schlechter ab, besonders deutlich ist der Leistungsabfall, wenn die Testpersonen eine neue Situation erfassen und darauf reagieren sollten – eine Fähigkeit, die in vielen Berufen zentral ist. „Die eingeschränkte kognitive Fähigkeit bei Schichtarbeiter:innen könnte eine wichtige Rolle für Unfälle oder Fehler im Arbeitskontext spielen“, folgern die Autor:innen.
Grund für die schlechtere Performance bei Schichtarbeiter:innen ist der Studie zufolge die Störung des zirkadianen Rhythmus, der die Schlaf- und Wachzeiten im Menschen steuert. Über spezielle Photorezeptoren auf der Netzhaut erkennt das Gehirn, ob es draußen hell oder dunkel ist, und schüttet entsprechend das „Schlafhormon“ Melatonin aus. Das „Stresshormon“ Cortisol hingegen hält uns tagsüber wach – und leistungsfähig. Bei Nachtschichten fehlt dem Gehirn die natürliche Leistungsspritze, die kognitiven Fähigkeiten sinken. Die Autor:innen empfehlen Arbeitgebern, mehr auf die Erholung ihrer Angestellten zu achten – und ihnen öfters ein Nickerchen zuzugestehen.
Wahrscheinlich ist das nicht. Seit Beginn der Pandemie haben sich die Arbeitszeiten weiter „flexibilisiert“. Bei jedem dritten Unternehmen, das seine Arbeitszeiten ausgeweitet hat, heißt es nun: Es darf bis 21 Uhr oder noch später gearbeitet werden. Na dann gute Nacht! (rpa)
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