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Fabian Schroer Ausgehen und rumstehenEs gibt noch eine Welt da draußen

Nein wirklich?“, fragt mich C. vor ein paar Wochen. „Du jetzt auch noch?“ „Mega uncool.“ Kurz vorher hatte sich C. ausschweifend darüber ausgelassen, wie sehr er einen „Dry January“ und die Leute, die so was zu tun ernsthaft in Erwägung ziehen, missbilligt. Ich habe das dann natürlich trotzdem gemacht. Ich lass mir von dem ja nichts erzählen.

Direkt zu Anfang meines Abstinenzmonats habe ich erst mal Corona. Das macht das Nichtstrinken zwar nicht schwieriger, hilft aber auch nicht direkt dabei, das Gefühl loszuwerden, dass man ohne Alkohol weniger erleben würde. Als ich dann nach neun Tagen Quarantäne endlich wieder raus darf, bin ich ziemlich überrascht von der Menge an Menschen auf den nächtlichen Neuköllner Straßen. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass draußen genauso wenig los wäre wie in meinem Zimmer.

Und ein bisschen stimmt das auch. Es kommt mir zumindest so vor, als ich Donnerstagabend vor meinem Laptop sitze und das Internet nach Wochenendplänen durchsuche. Tanzverbot, Beschränkungen und ständige Coronafälle unter den Kulturleuten scheinen das sonst ja doch recht üppige Berliner Kulturangebot etwa auf das von Wattenscheid geschrumpft zu haben.

Das Peppi Guggenheim ist am Freitagabend komplett voll. Wir sind zu spät, werden weggeschickt, und der futuristische Fusion-Sound von „Chinaski In Space“ erklingt ohne uns. Mangels Alternativen ist wohl halb Neukölln im Peppi. Soll jetzt nicht heißen, dass die Jungs mit dem Bukowski-Faible den Andrang nicht verdient hätten. Auf dem Rückweg fragt mich ein arbeitsloser Tontechniker, ob ich ein bisschen Geld über hätte.

Am Samstag ist „EAV Electronic Night“ im Loophole. Laut Facebook-Event machen „Adrian Bang“, „World Wild Web“ und „Novoline“ Live-Elektronik, „Cobeia“ spielt Musik aus der Büchse. Mein Mitbewohner B. war noch nie im Loophole und findet, die Dekoration über der Bar sehe aus wie die Leichencollage aus Game of Thrones. Ich trinke Kindl-Alkoholfrei, habe Game of Thrones nie gesehen und gehe davon aus, dass B. schon recht hat.

World Wild Web ist dann leider krank. Kein Corona, sondern ein Unfall. Gute Besserung! Adrian Bang spielt zuerst, danach ist Novoline dran. Hyperaktives Synthie-Staccato rattert in komplizierten Rhythmuswechseln auf mich ein. Der Künstler selbst wirkt eher entspannt, wie er mit so einer roten Höhlenforscherlampe auf dem Kopf inmitten seiner Burg aus blinkendem Equipment steht. „Novoline! Don’t forget!“, ermahnt er uns nach dem Gig und verweist auf die Novoline 2-Leuchtreklame, die er anscheinend immer dabeihat. Für diejenigen, die das nicht wissen: Diese bewirbt normalerweise Glücksspielautomaten.

Nachher stehen B. und ich wie die meisten vor der Tür, ziehen, voll glücklich mit dem Konzert, andächtig an unseren Zigaretten. B. analysiert die Musik: „Zwischendurch hat sich das irgendwie so verändert, so Double­time irgendwie“ sagt er. „Das fand ich gut.“ „Es wäre aber irgendwie doof gewesen, wenn das die ganze Zeit so gegangen wäre.“

Ein Schwall Wasser klatscht wenige Meter hinter B.s Rücken auf den Gehweg. „Das kam vom Balkon aus dem ersten Stock“, meint jemand. Einer aus der sich laut unterhaltenden Gruppe, die darunter steht, schreit irgendwas wie „Dein Ernst?!“ oder „Ich hau dir was aufs Maul!“ oder so ähnlich.

„Der versteckt sich hinter der Mauer“, meint ein anderer, nachdem er sich Feuer bei mir geschnorrt hat. Ich versichere ihm, dass ich das anstelle des Anwohners genauso machen würde. Zufrieden laufe ich mit B. vollkommen nüchtern nach Hause. Alles in allem ist Neukölln trotz Abstinenz, Pandemie und verzwergtem Kulturangebot doch immer noch ziemlich gut.

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