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Ausgehen und rumstehen von Jenni ZylkaAbschied von der Kim Bar, Huggingparty auf Papier

Abschied ist ein scharfes Schwert“, wer sang das noch mal? Ach ja, Roger Whittaker, der neben zweifelhaften Songs und einer ebensolchen Bartmode auch für sein beeindruckendes Kunstpfeifertalent bekannt war. Und überhaupt, wenn der Mann doch recht hat …

Freitag wurde sich zum Beispiel von der schönen Kim Bar verabschiedet, und it was a long Goodbye, von dem ich stolz sagen kann: Wir haben die Bar am Ende sozusagen ausgetrunken. Restlos. Ich bin nicht ganz sicher, ob es der Wahrheit entspricht, doch ich bilde mir ein, dass sowohl die letzte Pfütze Cremant als auch die letzte Pfütze Weißwein durch meine eigene kleine designierte Kunstpfeiferinnenkehle direkt in die Leber rann. Während die finalen Wodka-, Gin- und Rumvorräte angemessene Plätzchen in den Stoffwechseln meiner Begleitung fanden, was sich (vor allem am nächsten Tag) überall im Körper nach scharfem Schwert anfühlte.

Der Katzenjammer passte also, oder um ein weiteres Mal Herrn Whittaker in o. g. Song zu zitieren: „Worte sind sinnlos, / du willst sie nicht hören, / weil einmal geht auch die schönste Zeit vorbei.“ Denn jetzt ist es ja wirklich vorbei mit der Zeit, in der es noch einen Ort in Mitte gab, an dem man neben mehr Ortsansässigen als Tou­ris­t:in­nen sitzen und reden und trinken konnte, während persönliche Lieblingsplaylists liefen. Und man am Ende sogar noch genug Geld übrighatte, um eventuell ein Taxi springen zu lassen. Obwohl ich das ja stets zu vermeiden suche, einerseits, weil die Straße befahren und die Luft verpestet genug ist, andererseits, weil ich Taxen als Wildpferde betrachte, die frei und ungebunden durch die Stadt galoppieren sollen und von denen man nur mit sehr viel Glück eins zugeritten bekommt. Seit den Taxi Apps ist es allerdings vorbei mit der Mustang-Assoziation, die unpersönliche Verlässlichkeit, mit der man heuer Fahrten bucht, erinnert höchstens noch an Vielseitigkeitsreiten.

Jedenfalls war der Freitag rechtschaffen traurig, und man wird viele Menschen in den nächsten Monaten herren- beziehungsweise barlos durch die Gegend um den Rosenthaler Platz tigern sehen. Seufz.

Samstag galt es darum, sich mit Kunst abzulenken: Die Ausstellung „All_Go_Rhythm – Über das Schreiben und Zeichnen von Sound“ in der Galerie Oqbo hatte ihren letzten Tag, gezeigt wurden konzeptuelle Skripte und „Anti-Partituren zeitgenössischer Musiker:innen“. Denn wenn man nicht für die klassische Orchesterbesetzung, sondern beispielsweise für siebzehn Bleistifte und einen Fön schreibt, braucht oder sollte man nicht unbedingt mit Noten operieren. Die waren denn auch wenig zu finden, nur auf einem Scoreblatt für ein Stück namens „Central Sparks in the Dark“ des Elektromusikers Jan St. Werner hatten sich jede Menge Notenhaufen quasi zu einer großen abstandslosen Huggingparty zusammengefunden und klebten aneinander und aufeinander herum, fast wie in alten Zeiten.

Schön wäre es natürlich gewesen, hätte man die unkonventionell notierten Handlungsanweisungen auch noch hören können, andererseits: Das wäre vielleicht atmosphärisch doch ein wenig zu herausfordernd für die kleinen Galerieräume. In einer Vitrine lag aber noch das großartige „Song Reader“-Buch von Beck aus, 20 Songs, die der Musiker 2012 in reiner „Sheet Music“, also als Noten herausbrachte, auf dass sie andere Künst­le­r:in­nen für ihn ­performen. Eine hübsche Idee, zwei Jahre später folgte damals eine CD, auf der unter anderen Jack White, Jarvis Cocker und Norah Jones ihm den Gefallen taten.

Wären meine Kunstpfeiferinnenfähigkeiten damals schon so extraordinär wie heute gewesen, ich hätte sofort mitgemacht. Aber ich kann die Songs ja immerhin noch unter der Dusche pfeifen.

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