: Eindeutige Statements
Igor Vidor dechiffriert in seinen Videos Mechanismen von Macht und Unterdrückung – derzeit zu sehen im Videoraum der Berlinischen Galerie
Von Peter Nowak
Die Kamera zeigt komfortable Bungalows in gepflegten Gärten. Plötzlich hallen in der deutschen Kleinstadtidylle Schüsse. Schwer bewaffnete Männer feuern auf sommerlich gekleidete Menschen, die in Deckung gehen. Diese Gegensätze prägen den Film „A Praga“ (Die Plage) von Igor Vidor. Drei Arbeiten des 1985 im brasilianischen São Paulo geborenen Künstlers, der mehrere Jahre im Bereich Bildung und Vermittlung im Museu de Arte de Rio (MAR) gearbeitet hat, sind momentan im Videoraum der Berlinischen Galerie zu sehen. Alle drei Videos untersuchen Mechanismen von Macht und Unterdrückung.
Der mit 39 Minuten längste Film ist eine künstlerische Anklage gegen die deutsche Waffenexportpolitik. Bei dem idyllischen Ort handelt es sich um Oberndorf am Neckar. Die eingeblendeten Szenen sind Filme, die den Einsatz von Waffen in aller Welt dokumentieren, die von Konzernen mit Sitz in Oberndorf produziert werden.
Bereits 1872 errichteten die Brüder Wilhelm und Paul Mauser in dem Ort am Rande des Schwarzwalds eine Waffenfabrik. Ihr Name wird bald in aller Welt bekannt sein. Vidor filmt im Oberndorfer Stadtmuseum, wie dort die Geschichte verklärt wird. Über die Opfer der Mauser-Gewehre wird geschwiegen. Dafür finden sich auf Oberndorfer Straßenschildern die Namen der Gebrüder Mauser, ihrer Frauen und Geschwister, die in dem Video zu sehen sind. Am Ende des Videos wird das Werk von Heckler und Koch (H&K) gezeigt, das auf einem Hügel in Oberndorf liegt.
Beispiele über die Einsatzgebiete der Waffen von Heckler & Koch gibt es weltweit. Gefängnisaufstände wurden mithilfe der H&K-Produkte ebenso niedergeschlagen wie Demonstrationen. Auch in den Leichen von Studierenden, die 2014 nach einer Demonstration in Mexiko entführt wurden, fanden sich Projektile von H&K, heißt es im Film. Er endet mit dem Ruf „Stoppt es“. Es ist ein eindeutiges Statement von Vidor, dessen enger Freund mit einer Waffe von H&K erschossen wurde. AntimilitaristInnen planen für den 8. Oktober ein Internationales Tribunal gegen Waffenexporte vor den Toren von H&K in Oberndorf. Das Video ist der künstlerische Beitrag dazu.
Auch in den beiden anderen Filmen greift Vidor gesellschaftliche Missstände auf. In „Rio Olympics“ ist der Künstler in einer ruinenhaften Landschaft mit Sportgerät zu sehen. Es ist eine Kritik an den Olympischen Spielen von 2016, für die in Brasilien zahlreiche Stadtviertel abgerissen wurden. Im Video „Carne und Agonia“ (Fleisch und Agonie) lesen wir in Sprechblasen die fast identischen Rechtfertigungen von DrogenhändlerInnen und PolizistInnen für den Einsatz von Waffen. Dazu sind kriminaltechnische Versuche aus Munitionsfabriken zu sehen, die prüfen sollen, wie tödlich die Waffen sind und wo ihre Wirkung noch verbessert werden kann. In Zeitlupe schlagen Geschosse in ballistische Gelatine ein. In der Realität handelt es sich um menschliches Gewebe.
Die Filme von Igor Vidor sind noch bis zum 4. Oktober im Videoraum der Berlinischen Galerie, zu sehen
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