: Freizeit in Afghanistan
Um an einer Kirmes-Schießbude in Kabul mit einem Luftgewehr schießen zu können, muss der bärtige Talib auf dem mittleren Foto zunächst sein erbeutetes Sturmgewehr aus US-Produktion beiseitelegen. Erst danach kann er das Luftgewehr anlegen und zeigen, dass er als Kämpfer gut schießen kann. Derweil hält sein Kumpel lieber weiter seine Kriegswaffe fest. Gerade erst haben die Taliban die U.S. Army zum Abzug gezwungen und die afghanische Armee in die Flucht geschlagen. Nun feiern die für ihre rigiden Moralvorstellungen bekannten Islamisten ihren Sieg ausgerechnet auf einem Rummelplatz und in einem Freizeitpark an einem See.
Die Bilder zeigen eine kindliche, fast schon unschuldig anmutende Freude: Anfang der Woche zeigten sie bärtige Kämpfer, die am Hindukusch entspannt in kitschigen schwanenförmigen Tretbooten über einen See schippern und sich dabei mit ihren Handys filmen. Sie erholen sich vom Krieg ausgerechnet an einer Schießbude oder fahren mit Autoscootern ähnlich chaotisch wie in Kabuls chaotischem Stadtverkehr. Unschuldiger könnten die Bilder kaum sein, wären darauf nicht stets Sturmgewehre der Gotteskrieger zu sehen. Denn diese Waffen sind keine Attrappen. Sie sind echt.
Viele Taliban sind vom reglementierten Leben einer Koranschule geprägt oder von jahrelangen Entbehrungen und Härten des Kriegs. Freizeit- und Vergnügungsparks, bisher von Mullahs als unislamische und lasterhafte Orte bezeichnet, dürften für die meisten Taliban ein regelrechter Kulturschock sein. Es bleibt offen, ob die abgelichteten Gotteskrieger von ihren Vorgesetzten extra dafür Ausgang bekommen haben oder sich aus eigener Neugierde darauf einließen – und anschließend womöglich gar mit Sanktionen rechnen müssen.
Dabei können die Bilder sogar einen propagandistischen Zweck erfüllen, nach dem Motto: „Seht her, Taliban sind auch nur Menschen, die sich mal amüsieren wollen.“ Dies würde die Versuche von Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid unterstreichen, seine fundamentalistische Bewegung seit ihrer Machtübernahme Mitte August als moderat und geläutert darzustellen.
Das irritiert umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Taliban während ihrer ersten Herrschaft von 1996 bis 2001 den afghanischen Jugendsport des Drachensteigens wegen angeblicher Lasterhaftigkeit verboten. Noch widersprüchlicher wird es, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein Taliban-Kommando im Jahr 2012 am Qargha-See bei Kabul, wo es auch Schwanentretboote gibt, ein Resorthotel erholungssuchender Kabuler angriffen und dabei rund 20 Personen töteten. Mudschahid, der damals schon Taliban-Sprecher war, sich aber noch nicht um ein moderates Image der Islamisten bemühte, rechtfertigte den tödlichen Angriff damals mit den Worten, es habe sich um einen „Ort des Lasters und der Prostitution“ gehandelt. Sven Hansen
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