: Weit herumgekommen
Das Festival „Tanz im August“ ging am Wochenende ereignisreich zu Ende mit Reisen durch die Stadt und Reisen im Kopf
Von Katrin Bettina Müller
Man ist ja auch träge geworden. Nichts mehr gewöhnt. Zum Beispiel für eines der ersten Festivals, das wieder live in Berlin zu erleben ist, zu unbekannten Veranstaltungsorten in der Stadt zu fahren. Wie ein Fußballplatz in Kreuzberg, eine alten Industriehalle in Schöneweide, ein Autoscooter am Alex. Aber dieses eigene In-Bewegung-Setzen machte auch Spaß am letzten Wochenende des Festivals Tanz im August.
Es begann am Donnerstag mit der Tänzerin und Choreografin Milla Koistinen. Ihr Vater war Fußballprofi in Finnland; als sie dort während der Pandemie zu Besuch war, beschäftigte sie die Leere eines frisch erneuerten Fußballfeldes. So nahm ihre Performance „Breathe“, auf dem Lilli-Henoch-Sportplatz aufgeführt, ihren Ausgang. Mit ihr auf dem Feld zwei große Säcke voller Luft und das Publikum. Sie begann sehr reduziert und ruhig, das Publikum rückte näher, um nichts zu verpassen. Man konnte aber auch Publikum und Performerin in weiten Runden umkreisen, sie beobachten zwischen den Zuschauenden. Das war reizvoll, die Weite des Feldes zu nutzen. Ihre Bewegungen wurden erst groß, als sie mit den luftgefüllten Objekten spielte. Man verstand ihre Anspielungen auf das Gemeinschaftserlebnis Fußball und die Markierung der Lücke, weil es nicht stattfinden konnte. Doch sehr überraschend war das nicht.
In Schöneweide, einer alten Maschinenhalle, war für die Performance „Archipel“ eine Skulptur aus getreppten Flächen aufgebaut, die gleichzeitig Bühne und Klangkörper war für über zwanzig Tänzer:innen und Musiker:innen. Stephanie Thiersch, Choreografin, und die Komponistin Brigitta Muntendorf haben gemeinsam ein Spektakel entwickelt, das im Verknüpfen der visuellen und akustischen Ebenen sehr beeindruckend war. Töne jagten durch den Raum, ein Chor von Geweihträgern schaltete sich per Video zu, auf den Treppen wurde gesungen, die Bühnenelemente mit Bögen gestrichen und für Percussion genutzt. Von minimalistischen Soundscapes bis zum vollen Klang machte die Musik unterschiedliche historische Landschaften auf, über eine mittelalterliche Prozession, Balkanbeats und sphärische Gesänge. Die Performenden traten derweil eine weite Reise durch verschiedene Rituale an, hechelten im Kreise wie bei einem Geburtsvorgang, veränderten ihr Aussehen durch Kostümzusätze, die an fremde Planeten bei Raumschiff Enterprise erinnerten, bildeten Prozessionen, Gemeinschaftskörper und so allerlei, was man als Symbol auf der Suche nach einer Multitude lesen kann.
Das hatte große Schauwerte, war auch spannend, technisch ein Wunderwerk, nichtsdestotrotz aber auch eine etwas anrührend naive Bebilderung von Vorstellungen eines posthumanen Lebens.
Am Samstag ging es dann weiter auf einem Parkplatz hinter dem Skelett des Hauses der Statistik, wo ein Autoscooter steht. Dort entfaltete sich eine Performance von Amanda Piña, „Frontera / Border – A Living Monument“. In einem langen und langsamen Walk kommen die Performenden dabei immer wieder auf die Zuschauer zu, mit mininalen Gesten verschiedene Figuren andeutend, bis sie am Ende einen sehr rasanten Tanz aufführen. Der lässt sich zwar im Mexikanischen verorten, allein seine Geschichte erfasst man vom Zuschauen aber nicht. Im Festival Magazin erläutert Nicole Haitzinger, wie er sich auf einen Tanz bezieht, der in einem Grenzort von Mexiko, einem gefährlichen Drogenumschlagplatz, von jungen Männern wöchentlich einmal öffentlich aufgeführt wird als symbolischer Akt gegen die Gewalt der Region. Das ist interessant, ohne Zweifel. Zugleich aber wird klar, dass zwischen dem Aufgeführten und dem Kontext der Entstehung, der Jahrhunderte seit der kolonialen Eroberung umfasst, ein Meer von Zeichen und ihren Umdeutungen mitschwingt, deren Transport nur andeutungsweise gelingt.
Dieses Phänomen, an aktuelle Diskurse anzudocken und auf theoretisch anspruchsvolle Kontexte zu verweisen, zeichnete viele Projekte des Festivals aus. Aber deren Erschließung und Zugänglichkeit auf der Bühne standen dann doch leider auf einem anderen Blatt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen