: Der vergessene Vorfahre des Internets
Vor über 25 Jahren startete ein Feldversuch zum deutschen Bildschirmtext. Der konnte vieles, was das Internet heute kann, und war trotzdem nicht erfolgreich. Heute wird die letzte Funktion des Btx aufgegeben, beinahe unbemerkt
Tot, toter am totesten. Der Bildschirmtext (kurz Btx) wurde zwar schon 2001 abgeschaltet, doch ein kleiner Rest, das Btx-Online-Banking, konnte sich bis gestern noch durchschummeln. Heute stellt die Postbank es als eine der letzten Banken ein. Das Online-Banking über eine Btx-Oberfläche war das letzte Überbleibsel eines fast vergessenen Systems, das aussah wie Videotext und informierte wie Internet.
Schriftliche Mitteilungen sekundenschnell verschicken, den Kurztrip nach Hamburg auf dem Bildschirm planen, eine Hose von Otto bestellen und sie mit einer Online-Überweisung bezahlen: Während die meisten bei dieser Aufzählung an das Internet denken, schwärmt Alois Lipka mit den genannten Beispielen vom Bildschirmtext. Lipka ist Betriebswirt und Systementwickler, neben dem Doktor hat er auch noch einen selbst verliehenen Titel: Er nennt sich erster Onliner Deutschlands. „Das ist etwas ironisch gemeint, so zu PR-Zwecken“, sagt er und meint es doch ziemlich ernst mit seinem Bildschirmtext.
Von Anfang an war er dabei, als es darum ging, Informationen online, also über die Telefonleitung, auf den Bildschirm zu bekommen. Vor 25 Jahren las er durch Zufall von einem Feldversuch in Berlin und Düsseldorf. Die Bundespost suchte Teilnehmer, an denen der Onlinedienst Btx getestet werden sollte. Die Idee war verblüffend: Anbieter speisten seitenweise Informationen ein, die jeder Einzelne zu Hause auf seinem Fernseher anschauen konnte. „Das Neue an Btx war, dass der Zugang zu Informationen individuell wurde“, beschreibt Eric Danke seine Errungenschaft. Er entwickelte seit 1976 den deutschen Bildschirmtext.
1980 war Btx für seine ersten Nutzer im Feldversuch bereit. Lipka war einer von ihnen und begann, sich die Online-Welt zu erobern: „In der ersten Zeit habe ich stundenlang, bis in die Nacht hinein vor dem Gerät gesessen.“ Surfen nannte man das damals noch nicht; die Suche nach Informationen glich eher dem Klettern. Die Adressen der Anbieter bestanden aus Ziffern und Buchstaben, wenn man die genaue Adresse nicht kannte, musste man sich durch Suchbäume hangeln. Was man dann fand, kommt dem heutigen Internetangebot jedoch nahe: Zeitungen betrieben Btx-Seiten, der Nutzer konnte in Buchungssystemen von der Bahn oder Warenhäusern einkaufen und in Datenarchiven nachschlagen.
Doch es gab auch Unterschiede: Btx war viel langsamer, die Grafik aus der heutigen Internetsicht stümperhaft und die Seiten mussten bezahlt werden. Zwischen einem Pfennig und neun Mark 99 wurden pro Seite berechnet.
Der größte Unterschied zum Internet: Btx setzte sich nicht durch. Die Post ging 1980 davon aus, bald den millionsten Nutzer begrüßen zu können. Im Nachhinein wurde diese Aussage zum Maßstab des Misserfolgs von Btx. Erst als sich Mitte der Neunzigerjahre der PC-Monitor durchsetzte, schaffte es Btx, 500.000 Nutzer an sich zu binden. Viele Unternehmen profitierten von der Technik, für Privatleute blieb die Nutzung zu teuer. „Viele wussten gar nicht, wofür der Bildschirmtext gut war. Ein Staatsvertrag verbot der Post, zu erklären, was für tolle Sachen man damit machen konnte“, erklärt sich Lipka die geringe Resonanz.
Inzwischen ist der erste Onliner einer von 35 Millionen Internetnutzern in Deutschland, richtig wohl fühlt er sich damit nicht: „Heute macht das Hinz und Kunz, damals war es elitär, online zu sein.“ Trotzdem freundet er sich mit dem Internet an. Letzte Woche war er zum ersten Mal bei eBay und hat fünf Tassen für sein Service ersteigert. Die hätte er im Bildschirmtext nicht gefunden. FRAUKE ADESIYAN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen