: Besser als Feng Shui
Rohre, die auf Verbindungssuche scheinen: David Lipps‘Ausstellung „Bonding“ in Bremen beschert verblüffende Erlebnisse
Von Jan-Paul Koopmann
Da hängen Knoten an der Wand: solche, die eine:r nur noch kurz zusammenziehen müsste, wenn es denn ginge, oder die umgekehrt ein bisschen gelockert wurden, so dass die Bahnen der Schnur und ihre Windungen erkennbar verlaufen. Festgehalten wird auf diese Weise ein Zwischenzustand oder Übergangsmoment,vielleicht nur ein Sekundenbruchteil, bevor eine Gerade zum Punkt wird. Oder war das nun schon zu viel der Interpretation?
Zumindest hat die Beschreibung einen Fehler, weil David Lipps’Knoten, die unter dem Titel „Bonding“ im Bremer Projektraum Erlkönig an den Wänden hängen, tatsächlich gar nicht aus Schnüren bestehen. Es sind weiß-graue Verbundrohre, verbogene Wasserleitungen, was den grob verputzten Raum noch etwas mehr nach Baustelle aussehen lässt als ohnehin. Man könnte nun die just korrigierte Umschreibung fortsetzen und den an der Oberfläche recht simplen Aufbau mit weiteren Details anfüttern: Man könnte sich zum Beispiel auf den Umstand einlassen, dass all diese Rohröffnungen an keiner Stelle aufeinander deuten. Interessant ist das, weil ja bereits das leitende Material nach einer Verbindung schreit. Und gerade in dieser Verweigerung schimmert auch eine räumliche Dimension der Arbeit auf.
Es gibt weitere solcher (Nicht-)Zusammenhänge, die sich je nach Rezensent:innenlaune vielleicht als stimmig, gewitzt, konsequent oder meinetwegen auch scharfsinnig herausarbeiten ließen. Spannender ist aber etwas anderes, wofür mensch aber nicht darum herum kommen wird, dem Off space selbst einen Besuch abzustatten: Es macht nämlich etwas mit einem, was sonst eher Mystiker:innen und Feng-Shui-Geschädigten vorbehalten bleibt. Wer zwischen all den sorgsam aneinander vorbei geordneten Rohren steht – die sich zudem noch in ihre je eigene Knotenform zurückzuziehen scheinen –, dem:der kommt unweigerlich die eigene Verortung im Raum in den Sinn.
Zusammenfall von Theorie und Praxis
Es mag bescheuert klingen, ist aber vielmehr ausgesprochen lustig, wie nah sich Beobachtung und Deutung beim „Bonding“-Besuch kommen; wie unmittelbar so eine interpretierende Hirntätigkeit umschlagen kann in körperliches Empfinden. Kurator Pio Rahner, der übrigens auch selbst mehr Künstler als Galerist ist, sieht die Spannung in Lipps’Figuren eher in dessen Vorgeschichte und -arbeit begründet, also aus Zeichnung und Fotografie. Und vermutlich hat Rahner auch Recht. Aber ganz egal, wie man’s erklärt und beschreibt: Spannend ist er, dieser Zusammenfall von Theorie und Praxis – oder: dieses sonderbar physische Denken.
So oder so ist „David Lipps: Bonding“ ein guter Anlass, langsam mal den Erlkönig zu besuchen, diesen kleinen, aber inzwischen doch beachtlich sendungsstarken Ausstellungsraum. Eine Besonderheit ist der in Bremen auch deshalb, weil Pio Rahner unverbissen, aber entschieden neben der örtlichen Kunstszene herarbeitet und sich auf auswärtige Künstler:innen konzentriert, die man hier sonst kaum zu sehen bekämen. Eine Chance auf Stippvisite beim Besuch sozusagen – für den Sie aber nur noch drei Tage Zeit haben.
David Lipps, „Bonding“: bis 29. 7., Erlkönig Projektraum, Ellhornstraße 14, Bremen. Anmeldung: rahner@erlkoenigschau.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen