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: Betreutes Parken

Ich hole mein Auto aus Brandenburg ab. Mein Auto ist ­eigentlich kein Auto, sondern ein Van. Ein G 20 Chevrolet Van, Baujahr 1993, 8 Zylinder, verdunkelte Scheiben. Zwei Meter breit, fünf Meter lang.

„Den Winter verbringt der Van in einer Scheune in Beelitz und den Sommer in einer Werkstatt in Berlin. Dazwischen fährt ihn der ADAC von einem Ort zum anderen.“

„Das ist ungerecht“, unterbreche ich meine Schwester. „Letztes Jahr gab es bis Mitte August kein Problem.“

„Da bist du ja auch bis Juli nicht gefahren.“

Ich seufze. Ihr neuer Freund lacht.

Es ist Mitte Juni, und wir sitzen zu dritt im Auto. Ich habe ein schlechtes Gewissen, doch dem Chevy scheint es trotz der langen Pause gut zu gehen. Der Vermieter besaß nun sogar eine eigene Homepage: „Betreutes Parken in ruhigem Ambiente – gönnen Sie Ihrem Liebling eine Auszeit!“ Buchte man die Nachrichtenfunktion, erhielt man täglich ein Foto.

„Wie kommst du eigentlich zu diesem Gefährt?“

„Ich habe ihn in einer Wette gewonnen.“

„Frag nicht, wie das passiert ist“, sagt meine Schwester.

Natürlich fragt er.

„Es gab Gin Tonic, und auf einmal gehörte der Van mir.“

„Und der Gegeneinsatz?“

„Erzähle ich dir, wenn wir uns besser kennen.“

Je näher wir kommen, desto aufgeregter bin ich, fast wie vor einem ersten Date.

„Du tickst ja nicht ganz richtig“, sagt meine Schwester.

Als wir ankommen, begrüßt uns der Vermieter mit einem kalten Bier.

„Betreutes Parken“ steht auf den Gläsern.

„Habe ich selbst entworfen“, sagt er stolz und öffnet das Tor.

Für einen Augenblick steht die Zeit still.

Majestätisch schälen sich die Konturen des Chevys aus der Dunkelheit. Die Sonne fällt durch die Ritzen der Holzplanken und malt glitzernde Streifen auf die Seitentüren. Der sanfte Schwung der Hinterräder lässt mein Herz für einen Moment aussetzen. Der Chevy glänzt, als sei er gestern erst poliert worden.

„Ich habe ihn gestern erst poliert“, sagt der Vermieter.

Meine Schwester verdreht die Augen.

„Unglaublich“, sage ich.

Der Vermieter lächelt bescheiden.

„Wo sind die anderen Autos? Alle schon abgeholt?“

„Nein, die sind in der großen Garage nebenan. Wegen der Abstandsregeln.“

„Und der Chevy?“

Der Vermieter sieht verlegen zu Boden. „Sprang nicht an.“

Meine Schwester lacht.

Ich öffne die Motorhaube und konnektiere die Batterie. Sofort springt der Motor an.

„Das ist mir jetzt sehr unangenehm“, sagt der Vermieter.

„Macht nichts.“ Ich blicke triumphierend zu meiner Schwester.

Als ich ihn aus der Scheune fahre, höre ich es. Ein lautes, schabendes Geräusch – und wo war die Servolenkung hin? Ich drehe eine Runde auf dem Hof. Alle halten sich die Ohren zu.

„Ist das Öl?“, fragt meine Schwester und deutet auf den Boden.

Seufzend rufe ich den ADAC an. Der schickt einen Mini­schlepper, der sofort wieder abdreht.„Ich komme mit was Richtigem wieder“, ruft der Mann aus dem Auto.

„Hast du ihm nicht gesagt, wie groß das Ding ist?“, fragt meine Schwester.

„Doch.“

Zwei Stunden später ist der Chevy endlich auf dem Abschlepper.

„Wie lange dauert es, bis der Van in Berlin ist?“

„Hmm“, sagt der Mann, „wegen Corona kann das deutlich länger dauern.“

„Was hat denn Corona damit zu tun?“

„Nichts“, räumt er ein. „Aber alles dauert doch deshalb deutlich länger.“

Ich seufze. Der Abschied fällt mir schwer. Auch der Vermieter weint fast.

Meine Schwester grinst. „Frag mal, ob ihn der ADAC nach der Reparatur direkt wieder zurückbringt.“ Ich boxe sie in die Seite. Auf dem Rückweg rufe ich die Werkstatt an.

„Na endlich“, sagt der Mechaniker, „wir warten schon seit Wochen auf Ihren Anruf.“

„Hat länger gedauert.“

„Wegen Corona?“

Weswegen sonst. Eva Mirasol