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Ohne Selfie kommt man hier nicht davon

Für Kinder absolut geeignet: die Retrospektive der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama im Gropius Bau

Von Claudia Lenssen

Die Ferien haben angefangen, aber eine große Reise ist dieses Jahr nicht drin. Da kommt die Idee zu einem Stadtausflug ins Punkte-Land von Yayoi Kusama gerade recht. Ida, elf Jahre alt, ist schon von den leuchtenden Bildern im Internet begeistert. Während des Corona-Schuljahrs tauchte sie für einen Vortrag im virtuellen Klassenzimmer immer wieder in die tief dunkelblaue Welt der Wale ein oder hopste in den Pausen zur Musik ihrer Lieblingsband Deine Freunde durchs Zimmer. Jetzt aber können Oma und Enkelin nach reichlich Mühe, ein Online-Ticket zu ergattern, in echt angucken, was sich die Frau mit der roten Perücke ausgedacht hat. Die meisten Leute haben Leidenschaften, bei Ida sind es Wale, bei Yayoi Kusama lauter Punkte und Lichter und mehr. Für Ida Grund genug, mal wieder ein schönes Kleid anzuziehen und extra Ohrclips aus Glitzersteinchen auszusuchen.

Es fängt gut an, weil schon die Bäume am Museum bis oben hinauf in Pink und Punkte eingehüllt sind. Dann geht es mit Maske durch die Drehtür und über die markierte Seite der Treppe hinauf, und da sieht man sie schon, die luftigen Ballonskulpturen, die wie ein punktierter Korallenwald im Innenhof aufragen. Dazwischen herumgehen und auf den fremden anderen Blickfang, die reich verzierte Kastendecke hinaufschauen, macht wie ein Rummelplatzlabyrinth der Extraklasse ein bisschen schwindlig.

Von jetzt ab bin ich meine Handykamera los. Ida legt Tempo vor, bleibt nur kurz vor den dunkleren Gittermustern von Kusamas frühen Gemälden stehen und sammelt eigene Wunderkammer-Überraschungen. Ich würde gern hier und da länger verweilen, um Yayoi Kusamas japanisch-amerikanische Karriere am Beispiel ihrer großen Ausstellungen und Happenings nachzulesen. Aber alles in Englisch, nichts für ein Kind. Und überhaupt sind die Raumbilder cool, nicht die Texte, und auch nur hier und da eins von den alten Videos.

Ida genießt den Vorsprung, holt mich zu ihren Lieblingssachen und schaut sich auf diese Weise alles zweimal an, etwa die mit Nudeln beklebten Pantoffeln, die gepunkteten Kürbisse, den „Narcissus’ Garden“ aus glitzernden Stahlkugeln, der uns wegen der Geschichte von dem eitlen Gott, der in sein Spiegelbild plumpst, besonders gefällt. Am schönsten sind die endlos glitzernden Spiegelkabinette mit tausendfarbigen Lichtpunkten, unser „Narcissus Garden“, weil wir ohne Selfie natürlich nicht davon loskommen.

Da war aber auch ein hängendes Boot, woanders ein Schminktisch, beide ganz weiß und vollbepackt mit plüschig-weißen Stoffdingern. Viel Arbeit zum Nähen und Befüllen, sagen wir uns. Aber was sollte das? Ach so, es gab eine Zeit, da sah die Künstlerin überall Pimmel. Eklig fand sie die, meint meine verständige Begleiterin. Überhaupt fällt ihr auf, dass die Frau mit der roten Perücke niemals lächelt, wo sie doch so viel machen kann, was Leute auf der ganzen Welt gern anschauen. Ihr Kimono hat auf einem Foto exakt dasselbe Stoffmuster wie das Bild hinter ihr, sodass man meint, sie versinkt darin.

Was immer mit ihr passiert sein mag, uns hat die Ausstellung jedenfalls Laune gemacht. Draußen erst finde ich eine Broschüre mit dem Klebespiel „Finde deinen Kusama-Code“, das Ida am Einlass bekam und mir in die Tasche gesteckt hatte. Auf dem Rückweg findet Ida ein Auto, auf dem ein Regenschauer den Blütenstaub zu einem glänzenden Muster geformt hat. Lauter Punkte, das müssen wir unbedingt in einem Bild festhalten.

Bis 15. August, Gropius Bau

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