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Selbstaufgabe

Weil RB Leipzig beim Abstiegskandidaten Mainz 05 alle Attribute eines Spitzenteams schuldig bleibt, ist die Meisterschaft perdu

Aus Mainz Frank Hellmann

Mangelnde Aktivität war zumindest dem Trainer nicht vorzuwerfen. Fast im Akkord warf Julian Nagelsmann alle Bälle zurück, die in seiner Umgebung ins Seitenaus geflogen waren. Ansonsten versuchte der RB-Fußballlehrer mit hektischen Fingerzeigen oder lautstarken Anweisungen noch Korrekturen anzubringen, was die 2:3- (2:2)-Niederlage beim FSV Mainz 05 ebenso wenig verhinderte wie eine längere Beschwerde bei Schiedsrichter Christian Dingert nach Schlusspfiff.

Dabei hatten sich die Sachsen den Rückschlag zum Rückrundenauftakt bei einem Abstiegskandidaten selbst zuzuschreiben. „Die Schärfe und die Aggressivität bei Mainz war größer. Das war kein super­anschauliches Spiel, aber mit drei Punkten für Mainz, die nicht unverdient sind“, räumte Nagelsmann ein. Man hatte sich mit dem Aussetzer als Rivale des FC Bayern im Titelrennen disqualifiziert. „Grundsätzlich müssen wir nicht über die Bayern sprechen, wenn wir die Spiele verlieren. Wenn wir solche Spiele nicht gewinnen, werden wir, auch wenn die Bayern Punkte abgeben, nicht Meister. Das ist ganz simpel“, sagte Nagelsmann – und sein zynischer Unterton verlieh seinen Statements einen giftigen Klang.

„Der Zug ist natürlich abgefahren“, erklärte Kapitän Marcel Sabitzer in der ARD. Sein Trainer benutzte im ZDF dieselben Sinnbilder: „Zumindest sitzt Bayern im ICE und wir in der Regionalbahn. Es gibt wenige Regionalbahnen, die einen ICE noch einholen.“

Vieles beim Brauseklub hörte sich vor dem nächsten Heimspiel gegen Bayer Leverkusen bereits nach einer Selbstaufgabe im Titelkampf an. Zumal wenig Erklärungen griffen. Dass Champions-League-Achtelfinale gegen den FC Liverpool (16. Februar) ist noch zu lange hin, als dass es als Ausrede hätte gelten können. Auch die hohe Taktung wollte Nagelsmann nicht anführen, denn alle Leistungsdaten würden aussagen, „dass wir nicht megaplatt oder megamüde“ sind. Im Grunde leistete sich seine Mannschaft den typischen Hänger des leichtsinnigen Favoriten, der sich nach einer zweimaligen Führung durch Tyler Adams (15. Minute) und Marcel Halstenberg (30.) in Sicherheit wähnte. „Solche Spiele gewinnt man nur mit 100 Prozent Leidenschaft und Wille – das haben wir nicht gemacht“, räumte Emil Forsberg im „ZDF-Sportstudio“ ein.

Auch Torwart Peter Gulacsi hatte beim Mainzer Siegtreffer durch Leandro Barreiro (50.) nicht aufgepasst. Überhaupt konterkarierten die Leipziger ihren Ruf als abwehrstärkstes Bundesliga-Team der Hinrunde mit Aussetzern bei Standardsituationen, die der aufgerückte Verteidiger Moussa Niakhaté zweimal bestrafte.

„Zwei von den drei Gegentoren darfst du einfach nicht kriegen“, schimpfte Nagelsmann, der sich kurz vor der Pause noch eine unpassende Entgleisung in Richtung des Schiedsrichters („Was pfeift der denn für eine Scheiße?“) leistete. Da wirkte einer mächtig gefrustet. Alle fünf Einwechslungen zur Belebung der Offensive verpufften. „Von den Wechseln habe ich mir mehr Impact erhofft“, klagte der Coach, der damit Akteure wie Christopher Nkunku oder Justin Kluivert an den Pranger stellte. Ebenso misslang es dem 33-Jährigen, den Spielern in den purpurfarbenen Trikots eine notwendige Anpassung seines Matchplans zu vermitteln.

Dass der derzeit furchtbar zerfurchte Rasen in der Mainzer Arena kein Kombinationsspiel ermöglicht, sollte bekannt sein. Nagelsmann hatte aus einem leidenschaftlich fightenden Gegner und einem zunehmend schwerer bespielbaren Geläuf für die zweite Halbzeit abgeleitet, „mehr auf die zweiten Bälle zu gehen – das haben wir nicht getan“. Ihm blieb nach dem unstrukturierten Gesamtauftritt nichts anderes übrig, als dem vom österreichischen Red-Bull-Farmteam FC Liefering gekommenen Kollegen Bo Svensson zu gratulieren. Der 41 Jahre alte Däne wollte trotz der besten Saisonleistung sogar noch Steigerungsbedarf erkannt haben: „Mit der Mentalität bin ich sehr zufrieden. Inhaltlich müssen und können wir uns klar verbessern in allen Aspekten des Spiels.“

Ausgesprochen gut taten seinem Ensemble mit Danny da Costa und Dominik Kohr die beiden Leihgaben von Eintracht Frankfurt, die unbelastet auftraten und jeweils ein Tor vorbereiteten. „Das war ein richtig schöner Einstand. Ich habe hier eine sehr geile Truppe vorgefunden“, sagte Rechtsverteidiger da Costa. Auch dank der Nachbarschaftshilfe mimten die Nullfünfer wieder jene widerstandsfähigen Quälgeister, die an guten Tagen auch Topteams Paroli bieten können. Abwehrchef Stefan Bell bereitete die Wiederbelebung der alten Mainzer Tugenden größtes Vergnügen: „Wir waren sehr aktiv, für den Gegner einfach unangenehm – das hat extrem viel Spaß gemacht.“

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